Colchicum bulbocodium Lichtmeßblume |
Die Katholischen haben sich mit Sudermanns Interpretation des aus dem 15. Jahrhundert stammenden Liedes "es kommt ein Schiff geladen" immer schon schwer getan. Als im 19. Jahrhundert das Lied von Hymnologen wiederentdeckt wurde blieben die Verfasser katholischer Gesangbücher zurückhaltend. Sie zogen zwar mit der Veröffentlichung nach, doch in Form der "katholischeren" Version aus dem Andernacher Gesangbuch. Auch Heinrich Bone hat sich mit diesem Lied befasst, und hat es zur Enttäuschung des katholischen Publikums in der Sudermannschen Fassung mit leichten Änderungen veröffentlicht. Erfolg hatte er damit wenig, bis zum Gotteslob 75 blieb Sudermann draußen.
Georg Thurmair hat es in seinem "Kirchenlied" mit einer weitgehend originalen Version in der Fassung des Andernacher Gesangbuchs versucht, wo das Lied mit den Worten "Uns kommt ein Schiff gefahren" beginnt. Auch das hat niemanden überzeugen können. Das Gotteslob 75 hat die Sudermann-Version übernommen, sie aber mit einem Marienvers ergänzt, wohl um etwas "katholisches Kolorit" beizufügen. Im Gotteslob 2013 finden wir das Sudermann-Lied ohne marianischen Schlußvers.
Als Sudermann die heutige Fassung zusammenfügte, mit einem Text, der weitgehend aus der Straßburger Version stammt, lag im wohl mindestens die Fassung von 1450 vor, die dem Dominikanerinnen-Kloster in Straßburg zuzuordnen ist. Daneben finden sich noch zwei weitere Fassungen aus Inzigkofen und Deventer, die gleichfalls aus Frauenklöstern stammen, mit teilweise stark abweichendem Text.
In jedem Fall ist es ihm gelungen, eine Marienhymne völlig von jedem Verweis auf die Gottesmutter zu bereinigen. Damit hängt der Text allerdings in der Luft, denn wer oder was soll denn nun das Schiff sein: die Kirche, die Seele oder doch die Gottesmutter?
Sudermann hat eine poetisch höchst anrührende Version des Liedes geschaffen, mit der marianischen Urfassung hat sie nur bedingt etwas zu tun, am besten sehen wir uns das Vers für Vers an.
(Im folgenden habe ich die historischen Versionen sprachlich dem heutigen Sprachgebrauch angenähert, und hinsichtlich des Vers-Rhythmus angepasst auf die heute meist verwandte Melodie aus dem Andernacher Gesangbuch)
1.
In der Straßburger Fassung:
Es kommt ein Schiff geladen / bis an sein höchsten Bord / es trägt den Sohn des Vaters / das ewigliche Wort
Sudermann formuliert um:
... trägt Gottes Sohn voll Gnaden / des Vaters ewigs Wort.
das reimt besser, aber ist der Sohn Gottes wirklich "voll Gnaden" oder ist er nicht vielmehr die Gnade selbst?
Es macht Sinn, sich mit der ersten lateinischen Strophe der zweisprachigen Andernacher Version zu beschäftigen, denn sie macht deutlich, wer denn das Schiff sein soll
En navis institoris / Procul ferens panem / Longis adest ab oris / novam vehens mercem
Die erste Hälfte des Verses ist ein wörtliches Zitat aus dem Liber Proverbium 31.10 ff. (14): Facta est quasi navis institoris, de longe portans panem suum. "Sie (die "starke Frau", mulierem fortem) ist wie ein Handelsschiff, das sein Brot von ferne heranträgt." Die zweite Hälfte; es kommt aus weiter Ferne / und trägt eine neue Ware/Lohn/Sold verweist auf die Eucharistie.
Völlig getilgt hat Sudermann den Refrain des Liedes : Maria, Gottes Mutter / gelobet mußt du sein / .... .
2.
Der zweite Vers wird ebenfalls reimlich versäubert
Das Schiff das geht so stille / Es trägt ein teure Last / das Segel ist die Minne / der heilig Geist der Mast
Sudermann: das Schiff geht still im Triebe / ... / das Segel ist die Liebe / ...
Das wirkt heute eher seltsam, denn mittlerweile ist Liebe/Triebe peinlich. Still im Triebe ist genauso altertümlich wie die "Minne", also dann doch besser Minne. Der dritte Vers:
3.
Der Anker ist ausgeworfen / das Schiff das geht an Land / Gott ist uns Mensch geworden / der Sohn ist uns gesandt
Sudermann:
Der Anker haft auf Erden / und das Schiff ist am Land / Gotts Wort tut uns Fleisch werden / der Sohn ist uns gesandt
Das klingt heute so verstolpert, daß die Evangelischen es selbst versäubert haben : "das Wort will Fleisch uns werden". Reim gerettet, nur das "Wort" "will" nicht, es "ist" Mensch geworden. Wenn man schon ein Loch im Stoff stopft, sollte man aufpassen, daß man dabei nicht ein anderes aufreißt.
4.
Der vierte Vers ist wohl Sudermanns Eigengewächs, denn das "verlorene Kind" leitet direkt über zu "leiden", "Pein und Marter" und "sterben".
Zu Betlehem geboren / ist uns ein Kindelein / gibt sich für uns verloren / gelobet muß es sein
Die Andernacher hingegen schließen die ersten drei Verse mit folgendem Vers ab:
Maria hat geboren / aus ihrem Fleisch und Blut / das Kindlein auserkoren / Wahr Mensch und wahrer Gott
In der Straßburger Version findet sich folgender Krippenvers:
Es lieget in der Krippen / das liebe hübsche Kindelein / Ist unser Bruder geworden / gelobet muß es sein
der in der Andernacher und Deventer Version so lautet:
Es liegt hie in der Wiegen / das liebe Kindelein / Sein Gesicht leucht wie ein Spiegel / Gelobet mußt du sein.
5.
Und wer dies Kind mit Freuden / umfangen, küssen will / muß vorher mit ihm leiden / groß Pein und Marter viel
Der mystische Kuß war das einzige, was Bone - typisch für seine Zeit - weggelassen hat, der ansonsten Sudermanns Version teilt. Aber der Kuß, vom dem Sudermann schreibt, wird von den braven Nonnen aus dem Deventer Kloster ganz anders eingeordnet
Ich möcht das Kindlein küssen / auf seinen roten Mund / das möcht mich wohl gelüsten / von Sünden würd ich gsund
Der Kuß allein erlöst von Sünden. Die Pein und Marter braucht es nicht.
Ebenso Straßburg
Und wer das Kind will küssen / auf seinen roten Mund / empfängt wohl große Freuden / von ihm zur selben Stund
und Andernach
Möcht ich das Kindlein küssen / An seinen lieblichen Mund / und wär ich krank vor gewisse / ich würd davon gesund
6.
Die Nonnen von Inzigkofen haben noch einen weiteren Vers:
Maria du edle Rose / aller Seligkeit ein Zweig / du schöne Zeitenlose / mach uns von Sünden frei
Die Zeitenlose ist eine Blume, die mitten im kalten Winter blüht. Es ist eine ganze Pflanzenart, zu der auch die Herbstzeitlose gehört, die Lichtmeßblume blüht im Februar an Maria Lichtmeß.
Es ist möglicherweise deutlich geworden, daß ich die Sundermann-Version nicht mag, Wie könnte eine Sudermann-freie Version aussehen:
- Es kommt ein Schiff geladen / bis an sein höchsten Bord / es trägt den Sohn des Vaters / das ewigliche Wort
- Das Schiff das geht so stille / Es trägt ein teure Last / das Segel ist die Minne / der heilig Geist der Mast
- Der Anker ist ausgeworfen / das Schiff das geht an Land / Gott ist uns Mensch geworden / der Sohn ist uns gesandt
- Es liegt hie in der Wiegen / das liebe Kindelein / Sein Gsicht leucht wie ein Spiegel / Gelobet muß es sein
- Und wer das Kind will küssen / auf seinen roten Mund / empfängt wohl große Freuden / von ihm zur selben Stund
- Maria edle Rose / du Zweig der Seligkeit / du schöne Zeitenlose / mach uns von Sünden frei
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