Mittwoch, 3. August 2022

Aus hartem Weh die Menschheit klagt


Nicht erst aus dem Barock, sondern schon aus der Renaissance stammt dieses Lied, daß zuerst in einer Handschrift auftaucht, die man auf das Jahr 1524 datieren konnte. Eine weitere Spur findet sich im allerallerersten katholischen Gesangbuch von Michael Vehe 1537, und in der Folge wird es immer wieder in katholischen Gesangbüchern abgedruckt, allerdings mit absteigender Tendenz, daß es heute noch häufig gesungen wird, ist zu bezweifeln.

"Aus hartem Weh klagt menschliches Geschlecht, es stund in großen Sorgen" beginnt es leicht holpernd in Nikolaus Beuttners Werk "Catholisch Gesangbuch" erstmals erschienen im Jahre 1602 und bis 1718 in immer neuen Auflagen nachgedruckt. "Aus hartem Weh klagt menschlichs Gschlecht, es stund in großen Sorgen / wann kommt der uns erlösen möcht " so lautet der Liedanfang in David Corners "Groß Catolisch Gesangbüch" 1625.

Die Liedtexte variieren, Heinrich Bone dampft die 9. Strophen Corners auf nur noch vier ein, doch die Struktur des Textes - ein Gespräch zwischen den drei göttlichen Personen und dem Erzengel Gabriel - bleibt erhalten. Unverändert bleibt auch die Melodie, die in einer besonders dunklen, traurigen, mysteriösen Kirchentonart, der phrygischen, gehalten ist. Ein Klagelied, nicht nur vom Text, sondern auch vom Klang.

"Gott Vater hört das Klaggeschrei der schwerbedrängten Kinder" - Heinrich Bone, sonst eher geneigt, die barocken Emotionen zu dämpfen, hat hier sogar noch eine Schippe draufgelegt. Seine überarbeitete Version bringt den wesentlichen Inhalt auch in der Verkürzung auf 4. Strophen:

  1. Aus hartem Weh die Menschheit klagt / Sie stand in großen Sorgen / Wann kommt, der uns ist zugesagt / wie lang bleibt er verborgen? / Oh  Herr und Gott sieh an die Not / zerreiß des Himmels Ringe! / Erwecke uns Dein ewig Wort / und laßt herab ihn dringen / den Trost ob allen Dingen.
  2. Gott Vater hört das Klaggeschrei der schwerbedrängten Kinder / der Heil´ge Geist voll Lieb und Treu / will Gnade für die Sünder. / Gott Sohn der spricht. "Ach Vater mein / den Jammer laß und enden! / Soll denn der Mensch verloren sein? / mich selber wollest senden / sein Elend abzuwenden.
  3. Gott Vater das mit Huld vernahm / der Sohn verlangt zur Erde / der Heilge Geist herniederkam / damit das Wort Fleisch werde. / Maria, die erkoren war, hat Gottes Sohn empfangen / durch ihn ist uns das Heil gebracht / zu Ende ist das Bangen / erfüllt der Welt Verlangen.
  4. Drum singen wir mit Freuden all / von dieser Jungfrau reine / und preisen mit dankreichem Schall / ihr Kindlein allgemeine / und bitten, daß sie bei uns sei / wenn einst es kommt zum Sterben /daß wir durch ihre Fürbitt treu / den Trost des Heils erwerben / und ew´ges Leben erben.
Mit dem Urtext hat das nur noch wenig gemein, es handelt sich vielmehr um eine völlige Neudichtung, viel von der Farbe und der Tiefe des alten Textes ging dabei verloren, 

Das Bild, daß der Herr den Himmel zerreißen und herabsteigen möge, geht auf Jesaja 63, 19 zurück "Wir sind geworden wie die, über die du nie geherrscht hast, über denen dein Name nie ausgerufen wurde. Hättest du doch den Himmel zerrissen und wärest herabgestiegen, sodass die Berge vor dir erzitterten".
"O Heiland reiß die Himmel auf" - auch Friedrich von Spee bezieht sich auf die flehentliche Bitte des jüdischen Volkes, der Herr selbst möge die Himmel zerreißen und herabsteigen.

Das Lied hört zu den Einheitsliedern, die von den deutschsprachigen katholischen Bistümern vereinheitlich und in allen Gesangbüchern veröffentlich wurden. Es wird noch in das Gotteslob 1975 aufgenommen, verschwindet jedoch mit dem Gotteslob 2013 in den einen oder anderen Anhang, oder auch ganz.

Klagelieder im Advent mag man nicht mehr hören? Der Advent ist, so scheint es, von einer Zeit der Besinnung, der Erwartung, der flehentlichen Bittgesänge, des Fastens und Gebets zur "Vorweihnachtszeit" geworden, zum "lieben Advent". 

Die lateinische Kirche hat schon seit jeher die Adventszeit eher stiefmütterlich behandelt. Die ursprünglich 6-wöchige Adventszeit wurde auf vier Wochen verkürzt, Fastengebote wurden 1917  ganz abgeschafft. Daß dann der Advent zu einer Art Vorfeier der Weihnachtszeit geworden ist, braucht niemanden zu wundern, auch daß traurige Gesänge nicht mehr so gefragt sind. 

Die Aufnahme gefällt mir nicht sooo gut (expressiv düdelnde Organisten kann ich nicht leiden) aber man kann jedenfalls ahnen, wie das Lied klingen könnte.

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