Mittwoch, 17. August 2022

Der Tag der ist so freudenreich

Aus der Medinger Handschrift

Wie man ein Kirchenlied "um die Ecke bringt" habe ich ja schon mehrfach beschrieben. Eine lebendige und einprägsame, aber vielleicht nicht ganz einfache Melodie wird mit dem Argument der "Singbarkeit" durch kompositorische Dutzendware ersetzt. Vorgeblich "altertümliche" Wörter werden neugermanisch umformuliert, vermeintlich unverständliche Texte in "einfache Sprache" übersetzt, dramatische Begriffe abgeflacht, Worte wie "Hölle", "Jammertal", "Satan" werden ausgemerzt, 

Das Kirchenlied stirbt nach dieser Behandlung häufig einen stillen Tod. Bei der "Erledigung" des uralten Liedes "der Tag der ist so freudenreich" ist so vorgegangen worden. Sehr schade, denn dieses Lied könnte als Beweis dafür dienen, daß einst der Vorrat an gemeinsamen Überzeugungen der Konfessionen größer war als heute, und daß es keiner "Arbeitsgemeinschaft ökumenisches Liedgut" bedurfte, um einen Schatz von Liedern zu schaffen, den Evangelische wie Katholische singen konnten, ohne daß sich jemand darum scherte, ob das Lied nun von einem Katholiken oder einem Protestanten verfasst war. 

Bei der deutschen Version des Liedes handelt es sich um die (sehr freie) Kontrafaktur eines älteren lateinischen Hymnus, der vermutlich schon aus dem 14. Jahrhundert stammt: "Dies est laetitiae". Die Melodie ist identisch, wobei die deutsche Melodie im Lauf der Zeit noch ein wenig aufgehübscht wird, der Text hat nur wenige Ähnlichkeiten.

  1. Dies est laetitiae / in ortu regali, / nam processit hodie / De ventre virginali / puer admirabilis, / totus delectabilis / in humanitate, / qui inaestimabilis / est et ineffabilis / in divinitate.
wörtlich übersetzt:
  1. Es ist ein Tag der Freude / über eine königliche Geburt, / denn heute ging hervor / aus jungfräulichem Schoß / der bewundernswerte Knabe, / ganz köstlich / in [seiner] Menschheit, / der unschätzbar / ist und unbeschreiblich / in [seiner] Gottheit.
Im Gegensatz zur englischen Sprache, findet sich für dieses Lied keine echte Kontrafaktur. Bei Bartolomeus Gesius (1601) und Beuttner (1602) läßt sich eine Version finden, bei David Gregor Corner (1625) findet sich eine Fassung, die lange Zeit unangetastet bleibt:
  1. Der Tag der ist so freudenreich / aller Creaturen : Dann Gottes Sohn vom Himmelreich / über die Naturen / Von einer Jungfrau ist geborn / Maria du bist auserkorn / daß du Mutter werdest / was geschah so wunderlich / Gottes Sohn vom Himmelreich / der ist Mensch geboren.
  2. Ein Kindelein so löbelich / ist uns geboren heute / von einer Jungfrau säuberlich / zu Trost uns armen Leuten / wär uns das Kindlein nicht geborn / so wärn wir allzumal verlorn / das Heil ist unser aller / ei du süßer Jesu Christ / weil du Mensch geworden bist / behüt uns vor der Höllen.
  3. Als die Sonn durchscheint das Glas / mit ihrem hellen Scheine : und doch nicht versehret das / so merket allgemeine / In gleicher Weis geboren ward / von einer Jungfrau rein und zart / Gottes Sohn der werte /  in ein Kripp wird er gelegt / große Marter für uns trägt / allhie auf dieser Erden
  4. Die Hirten auf dem Felde warn / erfuhren neue Märe : von den engelischen Scharn / wie Christ geboren wäre / ein König über alle König groß / die Red Herodem sehr verdroß / aussandt er seine Boten / Ei wie gar ein falsche List / erdacht er wider Jesum Christ / die Kindlein ließ er töten.
Der zweite Vers läßt sich nicht als Übersetzung der lateinischen Version einordnen , er ist offenbar unabhängig entstanden. Corner druckt das Lied zusammen mit einer vollen Version des dies est laetitiae ab, die Melodie ist identisch, der Text eben nur "angelehnt"

Wer der Verfasser dieser Versionist, ist unbekannt. Luther war das Lied jedenfalls bekannt, er hat es mehrfach erwähnt, aber als Verfasser scheidet er aus. In der weiteren Entwicklungsgeschichte bleiben nun nur die ersten beiden Verse konstant, ab der dritten Strophe wechseln die Texte, mal werden sie wieder aus dem lateinischen Text übernommen, mal frei hinzugedichtet. Doch der Text inklusive der Strophe 3 war ursprünglich sowohl in lutherischen wie auch katholischen Gesangbüchern zu finden. Luther teilte das Mariendogma wonach Maria ante partum, peri partum et post partum Jungfrau blieb. In vielen älteren lutheranischen Gesangbücher wird er sogar als Autor bezeichnet.

Die lateinische Version des Liedes hat Luther offenbar sehr geschätzt, er bezeichnet sie als vom Heiligen Geist inspiriert. Viele lutherische Gesangbücher (zumindest die deutsch-amerikanischen) drucken  bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das Lied in der von Corner wiedergegebenen Version ab. Als Autor wird vorwiegend Luther selbst angegeben. Das Lied bleibt bei beiden Konfessionen mehr als 300 Jahr sehr stabil.

In meinem geliebten Konfirmandengesangbuch  (Erstauflage1951) findet sich das Lied nun nur noch mit den ersten beiden Strophen, die 3. und vierte Strophe fehlt,  Heute ist das Lied, das noch Bach und Praetorius zu Kompositionen inspiriert hat, weder in den katholischen noch in den evangelischen Gesangbüchern zu finden.

In den Diözesangesangbüchern findet sich das Lied schon nicht mehr durchgehend. Das Münsteraner Gesangbuch gibt die Strophen 1. - 3. wieder, in anderen Gesangbüchern fehlt es, oder es wird nur in einer stark umgetexteten Version wiedergegeben. Die Diözese von Speyer schießt da wirklich den Vogel ab, sie betätigt sich in jeder nur erdenklichen Weise an der Kirchenlied-Ermordung. Die Melodie wird "vereinfacht" und der 3. Vers hat folgenden führwahr schröcklichen Text (die anderen sind keineswegs besser) :
Wie sang die frohe Engelschar / in jener heiligen Stunde / die Luft war wie die Sonne klar / Und hallte von der Kunde / Heut ist der Erde Heil geschehn / Des freuen sich die Himmelshöhn / Und öffnen ihre Pforten / Dem Herrn sei Preis in Ewigkeit / Den Menschen Fried und Einigkeit / Und Segen allerorten
Dutzendware aus der Textbausteinkiste so weit das Auge blicket, aber irgendwie hatte der Autor in Erinnerung, daß es um "Sonne" und "klar" ging, warum aber nun die Luft, und nicht das Glas klar ist, ist ein Geheimnis, daß er wohl mit in sein Grab genommen hat. Das Buch nennt keinen Autor, denn sonst hätte ganz bestimmt die Schutzheilige der Musiker einen Würgeengel geschickt.

Zur Motivlage spreche ich mal eine Vermutung aus: man badet gerne lau.

Was die schon frühe Tilgung der dritten Strophe angeht, ist der Grund nicht schwer zu finden: das Dogma der "immerwährenden" Jungfräulichkeit der Gottesmutter, also auch nach der Geburt, ist den modernen Christen, vorsichtig gesagt, fremd.

In das Gotteslob ist das Lied ebensowenig aufgenommen worden, wie in das gemeinsame evangelisch Gesangbuch.

Zur Ehrenrettung des Gotteslobs 1975 muß man allerdings sagen, daß Marie-Luise Thurmair sich  stattdessen an einer direkten Übersetzung des lateinischen Urtextes versucht hat. Dort lautete der dritte Vers wie folgt:
Wie die Sonn das Glas durchdringt, / ohne es zu trüben / so ist, die den Herrn uns bringt / allzeit Jungfrau blieben / O Maria rein und groß / selig bist du, deren Schoß / Gottes Sohn getragen / selig Mutter Gottes wert / die den Herrn der Welt genährt / in den Erdentagen
Durchgesetzt hat sich das Lied nicht, 2013 verschwand es wieder aus dem Stammteil.

Warum nimmt man nicht - wie schon David Gregor Corner - den nur "verwandten" deutschen Text und den lateinischen auf? 
Ut vitrum non læditur, sole penetrante / Sic illæsa creditur, post partum et ante; / Felix hæc puerpera cujus casta viscera / Deum genuerunt, / Et beata ubera in ætate tenera / Christum lactaverunt.

Wörtlich übersetzt ist das allerdings schon ein bißchen erdennäher, als der schüchterne Text Marie-Luises:

Wie die Sonn das Glas durchdringt, ohn es zu zerbrechen / So glauben wir daß sie unverletzt blieb vor und nach der Geburt / Glücklich die Wöchnerin, deren jungfräuliche Eingeweide / Gott gebaren / und deren heilige Brüste, die in Ewigkeit jung bleiben / Christum Milch gaben.
Musiker und "Kulturschaffende" mögen das Lied, die FAZ hat es in ihre Sammlung aufgenommen, wenn man genau hinhört, hört man ihm gesungenen Text die "unerhörte" Strophe 3.

1 Kommentar:

  1. Das schlimme ist, daß die "moderne" speyerische Fassung so unendlich altbacken klingt.

    Thomas (Dilettantus)

    P.s. Hätte gerne mit url veröffentlicht, aber blogspot glaubt seiner eigenen url nicht

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