Aus der Medinger Handschrift |
Wie man ein Kirchenlied "um die Ecke bringt" habe ich ja schon mehrfach beschrieben. Eine lebendige und einprägsame, aber vielleicht nicht ganz einfache Melodie wird mit dem Argument der "Singbarkeit" durch kompositorische Dutzendware ersetzt. Vorgeblich "altertümliche" Wörter werden neugermanisch umformuliert, vermeintlich unverständliche Texte in "einfache Sprache" übersetzt, dramatische Begriffe abgeflacht, Worte wie "Hölle", "Jammertal", "Satan" werden ausgemerzt,
Das Kirchenlied stirbt nach dieser Behandlung häufig einen stillen Tod. Bei der "Erledigung" des uralten Liedes "der Tag der ist so freudenreich" ist so vorgegangen worden. Sehr schade, denn dieses Lied könnte als Beweis dafür dienen, daß einst der Vorrat an gemeinsamen Überzeugungen der Konfessionen größer war als heute, und daß es keiner "Arbeitsgemeinschaft ökumenisches Liedgut" bedurfte, um einen Schatz von Liedern zu schaffen, den Evangelische wie Katholische singen konnten, ohne daß sich jemand darum scherte, ob das Lied nun von einem Katholiken oder einem Protestanten verfasst war.
Bei der deutschen Version des Liedes handelt es sich um die (sehr freie) Kontrafaktur eines älteren lateinischen Hymnus, der vermutlich schon aus dem 14. Jahrhundert stammt: "Dies est laetitiae". Die Melodie ist identisch, wobei die deutsche Melodie im Lauf der Zeit noch ein wenig aufgehübscht wird, der Text hat nur wenige Ähnlichkeiten.
- Dies est laetitiae / in ortu regali, / nam processit hodie / De ventre virginali / puer admirabilis, / totus delectabilis / in humanitate, / qui inaestimabilis / est et ineffabilis / in divinitate.
- Es ist ein Tag der Freude / über eine königliche Geburt, / denn heute ging hervor / aus jungfräulichem Schoß / der bewundernswerte Knabe, / ganz köstlich / in [seiner] Menschheit, / der unschätzbar / ist und unbeschreiblich / in [seiner] Gottheit.
- Der Tag der ist so freudenreich / aller Creaturen : Dann Gottes Sohn vom Himmelreich / über die Naturen / Von einer Jungfrau ist geborn / Maria du bist auserkorn / daß du Mutter werdest / was geschah so wunderlich / Gottes Sohn vom Himmelreich / der ist Mensch geboren.
- Ein Kindelein so löbelich / ist uns geboren heute / von einer Jungfrau säuberlich / zu Trost uns armen Leuten / wär uns das Kindlein nicht geborn / so wärn wir allzumal verlorn / das Heil ist unser aller / ei du süßer Jesu Christ / weil du Mensch geworden bist / behüt uns vor der Höllen.
- Als die Sonn durchscheint das Glas / mit ihrem hellen Scheine : und doch nicht versehret das / so merket allgemeine / In gleicher Weis geboren ward / von einer Jungfrau rein und zart / Gottes Sohn der werte / in ein Kripp wird er gelegt / große Marter für uns trägt / allhie auf dieser Erden
- Die Hirten auf dem Felde warn / erfuhren neue Märe : von den engelischen Scharn / wie Christ geboren wäre / ein König über alle König groß / die Red Herodem sehr verdroß / aussandt er seine Boten / Ei wie gar ein falsche List / erdacht er wider Jesum Christ / die Kindlein ließ er töten.
Wie sang die frohe Engelschar / in jener heiligen Stunde / die Luft war wie die Sonne klar / Und hallte von der Kunde / Heut ist der Erde Heil geschehn / Des freuen sich die Himmelshöhn / Und öffnen ihre Pforten / Dem Herrn sei Preis in Ewigkeit / Den Menschen Fried und Einigkeit / Und Segen allerorten
Wie die Sonn das Glas durchdringt, / ohne es zu trüben / so ist, die den Herrn uns bringt / allzeit Jungfrau blieben / O Maria rein und groß / selig bist du, deren Schoß / Gottes Sohn getragen / selig Mutter Gottes wert / die den Herrn der Welt genährt / in den Erdentagen
Ut vitrum non læditur, sole penetrante / Sic illæsa creditur, post partum et ante; / Felix hæc puerpera cujus casta viscera / Deum genuerunt, / Et beata ubera in ætate tenera / Christum lactaverunt.
Wörtlich übersetzt ist das allerdings schon ein bißchen erdennäher, als der schüchterne Text Marie-Luises:
Wie die Sonn das Glas durchdringt, ohn es zu zerbrechen / So glauben wir daß sie unverletzt blieb vor und nach der Geburt / Glücklich die Wöchnerin, deren jungfräuliche Eingeweide / Gott gebaren / und deren heilige Brüste, die in Ewigkeit jung bleiben / Christum Milch gaben.Musiker und "Kulturschaffende" mögen das Lied, die FAZ hat es in ihre Sammlung aufgenommen, wenn man genau hinhört, hört man ihm gesungenen Text die "unerhörte" Strophe 3.
Das schlimme ist, daß die "moderne" speyerische Fassung so unendlich altbacken klingt.
AntwortenLöschenThomas (Dilettantus)
P.s. Hätte gerne mit url veröffentlicht, aber blogspot glaubt seiner eigenen url nicht