Donnerstag, 3. Mai 2012

Maria, Maienkönigin


Aus dem aktuellen Gotteslob ist "Maria, Maienkönigin" verschwunden, jedenfalls aus seinem Stammteil. In verschiedenen Diözesanteilen findet sich noch eine allerdings meistens veränderte, teilweise regelrecht verhunzte Fassung, bei der im Vergleich zur ursprünglichen Version kein Stein auf dem anderen geblieben ist.

An der Qualität des Liedes kann es nicht gelegen haben. Die Autoren des bei C.H.Beck erschienen "Geistlichen Wunderhorns" zählen das Lied unter die von Ihnen sorgfältig ausgewählten und kommentierten "Großen Deutschen Kirchenlieder". Noch weniger kann es an der Prominenz des Dichters oder des Komponisten gelegen haben. Das Lied geht auf Guido Görres zurück, der Text ist Teil eines Gedichtbandes zur Feier der Maiandacht. Für jeden Tag hatte Görres ein Gedicht geschrieben, unser Lied gehört in diesem Gedichtband zum dritten Mai.

Gewidmet waren die späteren Ausgaben des Bandes einem prominenten Dichterfreund: "Blumen dankbarer Erinnerung auf das Grab meines seligen Freundes des Dichters Clemens Brentano". An den Referenzen kann es also nicht gelegen haben. Auch nicht an der Komposition. Es existieren gleich mehrere Vertonungen, die prominenteste stammt auch nicht von einem ganz Unbekannten, Joseph Mohr, einem der einflußreichsten katholischen Komponisten und Dichter des 19. Jahrhunderts.

Dennoch verschwand das Lied, das bis nach der Mitte des 20. Jahrhunderts in der überwiegenden Mehrheit der diözesanen Gesangbücher abgedruckt war aus dem Stammteil des Gotteslobs. Die Motive für diese Ausrodung lassen sich an den Umdichtungen ablesen, die hier und da sich noch in den Diözesananhängen findet. So haben die Osnabrücker es geschafft, bei der Umdichtung außer den ersten vier Zeilen keine Zeile unangetastet zu lassen.
Der anonymen Umdichtung, die hier ins Werk gesetzt ist, war die ganze Mai-Theologie des Liedes sichtlich ein Dorn im Auge. Die romantische Frühlingsbilderwelt wird durch ein Arrangement zeitgemäßer theologischer Topoi ... ersetzt, die sich zu einem trinitarischen Gebilde ... fügen sollen. Das alles wird mit konventionellen Versatzstücken (Maria rein; die Kinder dein usw.) und missglückten Reimen (Erden-Ehren; Befreier-Treue; stimme-singen; flammen - Amen) so zusammengestückt, daß sich aus der trinitarischen Modernisierung des alten Marienlieds kaum etwas ergibt, was das Görresche Gedicht plausibel beerben könnte. (Geistliches Wunderhorn, S. 428 f.)
Offenbar wußten die Umdichter auch nicht mehr, auf welche geistliche Tradition sich dieses Marienlied bezieht - die marianische Interpretation des Hohenlieds "Ego flos campi/ et lilium convallium/ Sicut lilium inter spinas/ Sic anima mea". (Hld 2,1 f.)

Durchgesetzt hat sich in der Liedtradition die auf Mohr zurückgehende, nur leicht abweichende Fassung des ursprünglichen Gedichtes Görres zum dritten Mai:
  1. Maria, Maienkönigin! / Dich will der Mai begrüßen; / O segne ihn mit holdem Sinn, / Und uns zu Deinen Füßen. / Maria! Dir befehlen wir, / Was grünt und blüht auf Erden; / O laß es eine Himmelszier / In Gottes Garten werden!
  2. Behüte uns mit treuem Fleiß, / O Königin der Frauen, / Die Herzensblüten lilienweiß / Auf grünen Maiesauen! / Laß diese Blumen um und um / In allen Herzen sprossen, / Und mache sie zum Heiligtum, / Drin sich der Mai erschlossen!
  3. Die Seelen kalt und glaubensarm, / Die mit Verzweiflung ringen, / O mach sie hell und liebeswarm, / Damit sie freudig singen; / Daß sie mit Lerch und Nachtigall / Im Lied empor sich schwingen, / Und mit der Freude höchstem Schall / Dir Maienlieder singen!