Samstag, 27. August 2022

Es kommt ein Schiff geladen

 

Colchicum bulbocodium
Lichtmeßblume

Die Katholischen  haben sich mit Sudermanns Interpretation des aus dem 15. Jahrhundert stammenden Liedes "es kommt ein Schiff geladen" immer schon schwer getan. Als im 19. Jahrhundert das Lied von Hymnologen wiederentdeckt wurde blieben die Verfasser katholischer Gesangbücher zurückhaltend. Sie zogen zwar mit der Veröffentlichung nach, doch in Form der "katholischeren" Version aus dem Andernacher Gesangbuch. Auch Heinrich Bone hat sich mit diesem Lied befasst, und hat es zur Enttäuschung des katholischen Publikums in der Sudermannschen Fassung mit leichten Änderungen veröffentlicht. Erfolg hatte er damit wenig, bis zum Gotteslob 75 blieb Sudermann draußen.

Georg Thurmair hat es  in seinem "Kirchenlied" mit einer weitgehend originalen Version in der Fassung des Andernacher Gesangbuchs versucht, wo das Lied mit den Worten "Uns kommt ein Schiff gefahren" beginnt. Auch das hat niemanden überzeugen können. Das Gotteslob 75 hat die Sudermann-Version übernommen, sie aber mit einem Marienvers ergänzt, wohl um etwas "katholisches Kolorit" beizufügen. Im Gotteslob 2013 finden wir das Sudermann-Lied ohne marianischen Schlußvers.

Als Sudermann die heutige Fassung zusammenfügte, mit einem Text, der weitgehend aus der Straßburger Version stammt, lag im wohl mindestens die Fassung von 1450 vor, die dem Dominikanerinnen-Kloster in Straßburg zuzuordnen ist. Daneben finden sich noch zwei weitere Fassungen aus Inzigkofen und Deventer, die gleichfalls aus Frauenklöstern stammen, mit teilweise stark abweichendem Text. 

In jedem Fall ist es ihm gelungen, eine Marienhymne völlig von jedem Verweis auf die Gottesmutter zu bereinigen. Damit hängt der Text allerdings in der Luft, denn wer oder was soll denn nun das Schiff sein: die Kirche, die Seele oder doch die Gottesmutter?

Sudermann hat eine poetisch höchst anrührende Version des Liedes geschaffen, mit der marianischen Urfassung hat sie nur bedingt etwas zu tun, am besten sehen wir uns das Vers für Vers an.

(Im folgenden habe ich die historischen Versionen sprachlich dem heutigen Sprachgebrauch angenähert, und hinsichtlich des Vers-Rhythmus angepasst auf die heute meist verwandte Melodie aus dem Andernacher Gesangbuch)

1.

In der Straßburger Fassung:

Es kommt ein Schiff geladen / bis an sein höchsten Bord / es trägt den Sohn des Vaters / das ewigliche Wort

Sudermann formuliert um:

... trägt Gottes Sohn voll Gnaden / des Vaters ewigs Wort. 

das reimt besser, aber ist der Sohn Gottes wirklich "voll Gnaden" oder ist er nicht vielmehr die Gnade selbst?

Es macht Sinn, sich mit der ersten lateinischen Strophe der zweisprachigen Andernacher Version zu beschäftigen, denn sie macht deutlich, wer denn das Schiff sein soll

En navis institoris / Procul ferens panem / Longis adest ab oris / novam vehens mercem

Die erste Hälfte des Verses ist ein wörtliches Zitat aus dem Liber Proverbium 31.10 ff. (14): Facta est quasi navis institoris, de longe portans panem suum. "Sie (die "starke Frau",  mulierem fortem) ist wie ein Handelsschiff, das sein Brot von ferne heranträgt." Die zweite Hälfte; es kommt aus weiter Ferne / und trägt eine neue Ware/Lohn/Sold verweist auf die Eucharistie.

Völlig getilgt hat Sudermann den Refrain des Liedes : Maria, Gottes Mutter / gelobet mußt du sein / .... .

2.

Der zweite Vers wird ebenfalls reimlich versäubert

Das Schiff das geht so stille / Es trägt ein teure Last / das Segel ist die Minne / der heilig Geist der Mast

Sudermann: das Schiff geht still im Triebe / ... / das Segel ist die Liebe / ...

Das wirkt heute eher seltsam, denn mittlerweile ist Liebe/Triebe peinlich. Still im Triebe ist genauso altertümlich wie die "Minne", also dann doch besser Minne. Der dritte Vers:

3.

Der Anker ist ausgeworfen / das Schiff das geht an Land / Gott ist uns Mensch geworden / der Sohn ist uns gesandt

 Sudermann:

Der Anker haft auf Erden / und das Schiff ist am Land / Gotts Wort tut uns Fleisch werden / der Sohn ist uns gesandt

Das klingt heute so verstolpert, daß die Evangelischen es selbst versäubert haben : "das Wort will Fleisch uns werden". Reim gerettet, nur das "Wort" "will" nicht, es "ist" Mensch geworden. Wenn man schon ein Loch im Stoff stopft, sollte man aufpassen, daß man dabei nicht ein anderes aufreißt.

4.

Der vierte Vers ist wohl Sudermanns Eigengewächs, denn das "verlorene Kind" leitet direkt über zu "leiden", "Pein und Marter" und "sterben". 

Zu Betlehem geboren / ist uns ein Kindelein / gibt sich für uns verloren / gelobet muß es sein

Die Andernacher hingegen schließen die ersten drei Verse mit folgendem Vers ab:

Maria hat geboren / aus ihrem Fleisch und Blut / das Kindlein auserkoren / Wahr Mensch und wahrer Gott

In der Straßburger Version findet sich folgender Krippenvers:

Es lieget in der Krippen / das liebe hübsche Kindelein / Ist unser Bruder geworden / gelobet muß es sein

der in der Andernacher und Deventer Version so lautet:

Es liegt hie in der Wiegen / das liebe Kindelein / Sein Gesicht leucht wie ein Spiegel / Gelobet mußt du sein. 

5.

Und wer dies Kind mit Freuden  / umfangen, küssen will / muß vorher mit ihm leiden / groß Pein und Marter viel

Der mystische Kuß war das einzige, was Bone - typisch für seine Zeit - weggelassen hat, der ansonsten Sudermanns Version teilt. Aber der Kuß, vom dem Sudermann schreibt, wird von den braven Nonnen aus dem Deventer Kloster ganz anders eingeordnet 

Ich möcht das Kindlein küssen / auf seinen roten Mund / das möcht mich wohl gelüsten / von Sünden würd ich gsund

Der Kuß allein erlöst von Sünden. Die Pein und Marter braucht es nicht.

Ebenso Straßburg

Und wer das Kind will küssen / auf seinen roten Mund / empfängt wohl große Freuden / von ihm zur selben Stund

und Andernach

Möcht ich das Kindlein küssen / An seinen lieblichen Mund / und wär ich krank vor gewisse / ich würd davon gesund

6.

Die Nonnen von Inzigkofen haben noch einen weiteren Vers:

Maria du edle Rose / aller Seligkeit ein Zweig  / du schöne Zeitenlose / mach uns von Sünden frei

Die Zeitenlose ist eine Blume, die mitten im kalten Winter blüht. Es ist eine ganze Pflanzenart, zu der auch die Herbstzeitlose gehört, die Lichtmeßblume blüht im Februar an Maria Lichtmeß.

Es ist möglicherweise deutlich geworden, daß ich die Sundermann-Version nicht mag, Wie könnte eine Sudermann-freie Version aussehen:

  1. Es kommt ein Schiff geladen / bis an sein höchsten Bord / es trägt den Sohn des Vaters / das ewigliche Wort
  2. Das Schiff das geht so stille / Es trägt ein teure Last / das Segel ist die Minne / der heilig Geist der Mast
  3. Der Anker ist ausgeworfen / das Schiff das geht an Land / Gott ist uns Mensch geworden / der Sohn ist uns gesandt
  4. Es liegt hie in der Wiegen / das liebe Kindelein / Sein Gsicht leucht wie ein Spiegel / Gelobet muß es sein
  5. Und wer das Kind will küssen / auf seinen roten Mund / empfängt wohl große Freuden / von ihm zur selben Stund
  6. Maria edle Rose / du Zweig der Seligkeit / du schöne Zeitenlose / mach uns von Sünden frei

Mittwoch, 24. August 2022

Tauet Himmel den Gerechten

Rorate Antiphon

 

Michael Denis Lied "Tauet Himmel den Gerechten" von 1774, das 1777 von Thomas Hauner vertont wurde, ist nie unter die "Einheitslieder" aufgenommen worden, es taucht in Georg Thurmairs Sammlung "Kirchenlied" nicht auf und ist weder im Stammteil des Gotteslobs 1975 noch im Stammteil des Gotteslobs 2013 zu finden.  Dennoch ist es eines der populärsten Adventslieder.

Auch wenn es nicht zum "Kirchenlied-Adel" gehört, findet es sich in praktisch allen Gesangbüchern, es ist in allen Diözesan-Gesangbüchern vor dem "Gotteslob" 1975 abgedruckt, Joseph Mohr hat es überarbeitet und in sein "Cantate" aufgenommen, und wenn es schon nicht in den Stammteil des Gotteslobs aufgenommen wurde, so ist es doch in sämtlichen Diözesan-Anhängen zu finden. 

Der Grund für diesen Widerspruch ist nicht schwer zu finden: es gibt keine einheitliche Fassung,  weder im Hinblick auf den Text, noch im Hinblick auf die Melodie. Der Text ist schon sehr früh umgeschrieben worden, die Fassung, die erstmals 1801 im Münsteraner Gesangbuch veröffentlich wurde, ist der am meisten bekannte Text. Die beiden ersten Verse dieser Fassung haben sich als gleichsam kanonischer Text entwickelt, die Folgeverse sind in jeder Fassung anders. Jede Diözese folgt bis heute eigenen Traditionen, und da diese Traditionen nun einmal durchaus ehrwürdig sind, wird es auch dabei bleiben.. Eine "Einheitsfassung" wird es also nicht geben, man muß sich also, ob man will oder nicht, schon für eine Fassung entscheiden.

Das selbe gilt für die Vertonung. Die ursprünglich Fassung geht auf Thomas Hauner zurück, aber Hauner hatte bei dieser Kompostion offenbar einen Solisten oder einen mindestens semiprofessionellen Chor vor Augen, für den Gemeindegesang war seine Komposition nicht gedacht.  1790 schon wurde deshalb diese Komposition für den Gemeindegesang umgestaltet, die heutige Singweise geht auf Michael Haydn zurück, aber auch die ist keineswegs"kanonisch". Sie ist lediglich die älteste statistisch gesehen am häufigsten verwandte Melodie.

Um es dann noch etwas komplizierter zu machen, wird auch diese Melodie wiederum vereinfacht, die Folge ist, daß es buchstäblich keine einzige Diözesan-Fassung gibt, die mit einer anderen übereinstimmt.. Im folgenden also die Fassung, die Joseph Mohr dem Lied gegeben hat, und die Melodie Michael Haydns. 

Traditionsgemäß, wird das Lied am 4. Advent gesungen, passend zum Introitus der Messe.

  1. Tauet Himmel den Gerechten / Wolken regnet ihn herab / Rief das Volk in bangen Nächten / dem Gott die Verheißung gab : Einst den Mittler selbst zu sehen / und zum Himmel einzugehen / Denn verschlossen war das Tor / Bis ein Heiland trat hervor  
  2. Gott der Vater ließ sich rühren / Daß er uns zu retten sann / Und den Ratschluß auszuführen / Trug der Sohn sich selber an. / Schnell flog Gottes Engel nieder / Brachte diese Antwort wieder : "Sieh ich bin des Herren Magd / Mir gescheh wie du gesagt"
  3. Dein Gehorsam ist uns Leben / Jungfrau demutvoll und keusch / Gottes Geist wird dich umschweben / Und des Vaters Wort wird Fleisch / Erde! jauchze auf in Wonne / Bei dem Strahl der neuen Sonne / Fernhin bis zum Niedergang / Werde alles Lobgesang!
  4. Ja er kommt in Menschenhülle / Wie der Seher Mund versprach; / Leben, Licht und Gnadenfülle / Folgen dem Verheißnen nach / Seht, des Todes Schatten schwinden / Nieder sinkt das Reich der Sünden /: Und der Schuldgen Sklavenband / Bricht der Herr im Knechtsgewand


Melodie


Montag, 22. August 2022

Veni, veni Emmanuel

O-Antiphon Antiphonale Poissy 14. Jhdt.

Reisen bildet. Das gilt nicht nur für Personen, sondern auch für Lieder. Manchmal kommen sie nach einer langen Weltreise zu uns zurück, erfrischt und verjüngt. Das gilt auch für die Paraphrase der O-Antiphonen, das Adventslied  Veni, Veni Emmanuel, oder auf deutsch "Herr send herab uns deinen Sohn" (Bone), oder "Herr sende, den du senden willst" (wieder Bone) oder "O komm, o komm Emanuel" (Verspoell)

Die O-Antiphonen, die Magnificat - Antiphonen zu den letzten sieben (oder acht, oder neun, oder zehn oder zwölf) Vespern vor dem 24.12. sind schon im 6. Jahrhundert nachzuweisen. Die Zahl von sieben Antiphonen gilt als kanonisch O Sapientia, O Adonai, O radix Jesse, O Clavis David, O Oriens, O Rex gentium, O Emmanuel.

Paraphrasen dieser Antiphonen sind erst seit dem 18. Jahrhundert nachzuweisen, die früheste aus dem 18. Jahrhundert in Johannes Heringsdorfs "Psalteriolum Cantionum Catholicarum", dem "Psälterlein Katholischer Gesänge". Der Text, der nur eine Auswahl der Antiphonen in geänderter Reihenfolge enthält, ist nun in mehr als 200 Jahren wiederum kanonisch geworden, nämlich im angelsächsischen Raum. Der hochkirchliche gesinnte (und deshalb angefeindete später jedoch hochverehrte) anglikanische Pastor John Mason Neale veröffentlichte den Text 1851 in seiner Sammlung "Hymni ecclesiae" und lieferte dann 1861 die endgültige - und gleichsam kanonische - Übersetzung nach: "O come, O come Emmanuel". Thomas Helmore verband 1851 den Text mit einer Melodie die er in einem alten französischen Manuscript gefunden hatte und : der Nummer-Eins-Hit der englischen Adventslieder war geboren.

Veni, veni Emmanuel / Captivum solve Israel / qui gemit in exilio / Pivatus dei filio / Gaude, gaude Emmanuel / nascetur pro te israel
Veni o Jesse virgula / Es hostis tuos ungula / De specu tuos tartari / Educ e anthro barathri / Gaude ...
Veni, veni o oriens / Solare nos adveniens / Noctis depelle nebulas / Dirasque mortis tenebras / Gaude ...
Veni clavis Davidica / Regna reclude coelica / Fac iter tutum superum / Et claude vias inferum / Gaude ...
Veni, veni Adonai / Qui populo in Sinai / Legem dedisti vertice / In Maiesta grloriae / Gaude ...

Heute finden sich ungezählte Varianten des Liedes, eine Motette von Zoltan Kodaly, Kompositionen für Orchester und Chor, SynthiePop (die Lieblingsvariante meiner Herzallerliebsten Ehefrau) und viele viele teils aber auch unglaublich kitschige Versionen.

Das deutsche Gotteslob hat sich für die Melodie Helmores entschieden, leider auch für den dazu nicht passenden Text Bones. Dadurch "landen" die Betonungen der Melodie auf den "falschen" Wörtern. 

Warum man sich vor einer zweisprachigen Version scheut - also einer wörtlichen, nicht unbedingt singbaren Übersetzung des für die Melodie auch gedachten lateinischen Textes - läßt sich eigentlich nur mit der seit DEM KONZIL verbreiteten Idiosynkrasie gegen das Lateinische erklären. In Corners "Groß Catolisch Gesangbüch" waren die zweisprachigen Text noch die Regel - nun kommen sie gar nicht mehr vor. 

Die englische Übersetzung ist sehr gut gelungen, die engere Verwandtschaft des Englischen mit den lateinischen Sprachen hilft. Schade, daß die Gotteslob-Redakteure wieder mal falsch abgebogen sind.

Ich hätte es vorgezogen, wenn man den lateinischen Text des "Veni Emmanuel" wählt - mit einer lesbaren, aber nicht notwendig singbaren Übersetzung und als Alternative Verspoells Eigenschöpfung, die unter den deutschen Alternativen noch den höchsten poetischen Wert hat, und sich sehr gut auf die Melodie Helmores singen läßt.

  1. O komm, o komm Emmanuel / mach frei dein armes israel / In hartem Elend liegt es hier / In Tränen seufzt es auf zu dir! / Bald kommt dein Heil, Emanuel / Frohlock und jauchze Israel
  2. O komm, o komm du Licht der Welt / Das alle Finsternis erhellt / O komm und führ aus Trug und Wahn / Dein Israel auf recht Bahn / Bald kommt ...
  3. O komm, o komm du Himmelskind / Das aller Welt das Heil gewinnt / Dein Israel seufzt tief in Schuld / O bring im deines Vaters Huld / Bald kommt ...
  4. O komm, o komm du Gottessohn / Zur Erde steig vom Himmelsthron / Gott Herr und Heiland tritt hervor / O komm schließ auf des Himmel Tor / Bald kommt ....

Donnerstag, 18. August 2022

Ave Maria Zart

Lochner, Madonna im Rosenhag

Johann Georg Franz Braun hat nicht nur den Text gedichtet, sondern auch die Musik komponiert. 1675 ist sie in seinem "Echo hymnodiae coelestis" erstmals veröffentlich worden.
 
So hätte es eigentlich bleiben können:

  1. Ave Maria zart / du edler Rosengart / Lilien weiß ganz ohne Dornen : ich grüße dich zur Stund / mit Gabrielis Mund / Ave die du bist voller Gnaden.
  2. Du hast des Höchsten Sohn / Maria rein und schön / in deinem Leib verschlossen gtragen : Jesum das liebe Kind / so da die Sünder blind / errettet hat aus allem Schaden
  3. Durch Evae Apfel-Biß / Gott uns verstoßen ließ / und sollten sein ewig verloren : da ist göttliches Wort / Jesu dein Söhnlein zart / zu unserm Heil ein Mensch geworden.
  4. Durch sein kostbares Blut / ist des Satanas Mut / gestürzt / der Höllen Pfort zerbrochen : durch sein fünf Wunden rot / und sein schmerzlichen Tod / des Tods und Teufels Trutz gerochen
  5. Darum o Mutter mild / befiel uns deinem Kind / bitt, daß er uns die Sünd verzeihe: endlich nach diesem Leid / die ewig Himmels-Freud / durch dich Maria uns verleihe / Amen.

Dazu noch eine wundervolle Melodie, einfach makellos. Aber nicht ganz. Das Lied hat seine kleinen Unvollkommenheiten, Dornen reimt sich nicht auf Gnaden, gtragen nicht auf Schaden, verloren nicht auf geworden, was das Wort gerochen bedeutet, muß man einem Sprecher des 21. Jahrhunderts schon erklären. Auch bei Sohn/schön Wort/zart mild/Kind Leid/Freud holpert es etwas. Aber wen stört das?

Die Kirchengesangbuchredakteure stört es natürlich. Zunächst aber ist das Lied nach 1701 erst einmal ganz verschwunden. Wiederentdeckt hat es 1833 Ludwig Aurbacher, kein Hymnenforscher, sondern ein Dichter. Bis Georg Thurmair in seiner äußerst einflußreichen Liedersammlung "Kirchenlied" das Lied überarbeitet und wieder populär macht, bleibt es nur wenig beachtet. Positiv zu vermerken wäre, daß "Ave Maria zart" danach in den Diözesangesangbüchern und bis heute im Stammteil des Gotteslobs zu finden ist, negativ, daß am Ende der "Überarbeitung" kaum noch ein Stein auf dem anderen blieb.

Das ist weniger auf Thurmair zurückzuführen, der offenbar vor allem die Reime versäubern wollte, als vielmehr auf die Abrißbirnen der GL75-Redaktion.

Thurmair ersetzt im ersten Vers "Dornen" durch "Schaden", so daß nun der Reim reimt, aber leider der Sinn verloren geht, denn Braun hatte doch den "hortus conclusus" des Hohen Liedes vor Augen. "Sicut lilium inter spinas", wie die Lilie unter den Dornen.

Auch der zweite Vers hat gelitten, in den Gotteslöbern lesen wir:

Du hast des Höchsten Sohn, Maria rein und schön / in deinem keuschen Schoß getragen / den Heiland Jesu Christ / der unser Retter ist / aus aller Sünd und allem Schaden.

Wieder wird der Verweis auf das Hohe Lied unterschlagen. "Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born (Hld 4,12) - daher das Wort verschlossen in Brauns Text. Der "keusche" Schoß meint nun etwas anderes als die Gebetbuch-Verfasser denken. Keusch, mittelhochdeutsch kiusche, ist ein ethischer Begriff, der sich nur auf eine Person beziehen kann, zu denken ist an "sittsam". Der keusche Schoß ist daher, ethymologisch betrachtet, Non-Sens. Das "liebe Kind" wird uns ebenso vorenthalten wie die "Sünder blind", beides ließ Thurmair unangetastet, stattdessen begegnet uns nun der konventionelle Pleonasmus Heiland/Retter. Von innig zu billig, kein guter Tausch.

Ganz übel hat es die dritte Strophe erwischt:

Denn nach dem Sündenfall, wir warn verstoßen all, und sollten ewig sein verloren, / da hast du reine Magd / wie dir vorhergesagt/ uns Gottes Sohn zum Heil geboren.

 Der innere Frauenbeauftragte, der in jedem modernen Katholiken wohnt, wollte ja schon immer Eva aus der Schußlinie holen, auch dem "lieben Gott" darf man ja nichts Böses nachsagen. Aber nun tritt an Stelle der personalen Eva und des personalen Gottes der abstrakte "Sündenfall". In der Rhetorik nennt man das "Deagentivierung".  Bürokratendeutsch schreibt so, denn wovor der Bürokrat am meisten scheut, ist die Übernahme von Verantwortung. Und auch das noch: anstelle der Anspielung auf das Wort, das Fleisch geworden ist, lesen wir nun dröge Standard-Mariologie. 

Den vierten Vers hat Thurmair nicht angerührt, nicht so die Gotteslob-Redakteure, der ganze Vers fiel der "Delete"-Taste zum Opfer. Begründung? Im Redaktionsbericht zum Gotteslob I heißt es, die Streichung sei wegen "einiger veralteter Ausdrücke" erfolgt. Für "veraltet" hält die Redaktion offenbar die Ausdrücke "kostbares Blut" , "Satanas Mut" , "Höllen Pfort" und "Wunden rot".

Mit der Streichung verliert der nunmehr vierte Vers seinen Bezugspunkt. Das "Darum o Mutter mild" bezieht sich nun auf Jesu Geburt, und nicht mehr auf Jesu Passion. So war´s jedenfalls nicht gemeint.

In Wahrheit hat die Redaktion vor dem Zeitgeist eine bodentiefe Verbeugung geleistet. Denn nur vier Jahr zuvor hatte ein Lied die Charts gestürmt, das sich bei Lichte betrachtet, als lupenreine neokommunistische Hymne entpuppt, John Lennons "Imagine"

  1. Imagine there´s no heaven/ It´s easy if you try, No hell below us, Above us only sky
  2. Imagine there´s no countries, It isn´t hard to do, Nothing to kill or die for, And no religion too
  3. Imagine no possessions, I wonder if you can, No need for greed or hunger, A brotherhood of men
Ein "Friedenslied" das die meisten Spät-Hippies - zu denen so mancher unbedarfte Katholik zählt - noch immer in hymnischen Tönen preisen. Aber teilt John Lennon seine Idee von einer Welt ohne Religion, ohne Vaterländer und ohne Privateigentum nicht mit Karl Marx, Friedrich Engels, Josef Stalin, Pol Pot und Kim Il Sung?


Mittwoch, 17. August 2022

Der Tag der ist so freudenreich

Aus der Medinger Handschrift

Wie man ein Kirchenlied "um die Ecke bringt" habe ich ja schon mehrfach beschrieben. Eine lebendige und einprägsame, aber vielleicht nicht ganz einfache Melodie wird mit dem Argument der "Singbarkeit" durch kompositorische Dutzendware ersetzt. Vorgeblich "altertümliche" Wörter werden neugermanisch umformuliert, vermeintlich unverständliche Texte in "einfache Sprache" übersetzt, dramatische Begriffe abgeflacht, Worte wie "Hölle", "Jammertal", "Satan" werden ausgemerzt, 

Das Kirchenlied stirbt nach dieser Behandlung häufig einen stillen Tod. Bei der "Erledigung" des uralten Liedes "der Tag der ist so freudenreich" ist so vorgegangen worden. Sehr schade, denn dieses Lied könnte als Beweis dafür dienen, daß einst der Vorrat an gemeinsamen Überzeugungen der Konfessionen größer war als heute, und daß es keiner "Arbeitsgemeinschaft ökumenisches Liedgut" bedurfte, um einen Schatz von Liedern zu schaffen, den Evangelische wie Katholische singen konnten, ohne daß sich jemand darum scherte, ob das Lied nun von einem Katholiken oder einem Protestanten verfasst war. 

Bei der deutschen Version des Liedes handelt es sich um die (sehr freie) Kontrafaktur eines älteren lateinischen Hymnus, der vermutlich schon aus dem 14. Jahrhundert stammt: "Dies est laetitiae". Die Melodie ist identisch, wobei die deutsche Melodie im Lauf der Zeit noch ein wenig aufgehübscht wird, der Text hat nur wenige Ähnlichkeiten.

  1. Dies est laetitiae / in ortu regali, / nam processit hodie / De ventre virginali / puer admirabilis, / totus delectabilis / in humanitate, / qui inaestimabilis / est et ineffabilis / in divinitate.
wörtlich übersetzt:
  1. Es ist ein Tag der Freude / über eine königliche Geburt, / denn heute ging hervor / aus jungfräulichem Schoß / der bewundernswerte Knabe, / ganz köstlich / in [seiner] Menschheit, / der unschätzbar / ist und unbeschreiblich / in [seiner] Gottheit.
Im Gegensatz zur englischen Sprache, findet sich für dieses Lied keine echte Kontrafaktur. Bei Bartolomeus Gesius (1601) und Beuttner (1602) läßt sich eine Version finden, bei David Gregor Corner (1625) findet sich eine Fassung, die lange Zeit unangetastet bleibt:
  1. Der Tag der ist so freudenreich / aller Creaturen : Dann Gottes Sohn vom Himmelreich / über die Naturen / Von einer Jungfrau ist geborn / Maria du bist auserkorn / daß du Mutter werdest / was geschah so wunderlich / Gottes Sohn vom Himmelreich / der ist Mensch geboren.
  2. Ein Kindelein so löbelich / ist uns geboren heute / von einer Jungfrau säuberlich / zu Trost uns armen Leuten / wär uns das Kindlein nicht geborn / so wärn wir allzumal verlorn / das Heil ist unser aller / ei du süßer Jesu Christ / weil du Mensch geworden bist / behüt uns vor der Höllen.
  3. Als die Sonn durchscheint das Glas / mit ihrem hellen Scheine : und doch nicht versehret das / so merket allgemeine / In gleicher Weis geboren ward / von einer Jungfrau rein und zart / Gottes Sohn der werte /  in ein Kripp wird er gelegt / große Marter für uns trägt / allhie auf dieser Erden
  4. Die Hirten auf dem Felde warn / erfuhren neue Märe : von den engelischen Scharn / wie Christ geboren wäre / ein König über alle König groß / die Red Herodem sehr verdroß / aussandt er seine Boten / Ei wie gar ein falsche List / erdacht er wider Jesum Christ / die Kindlein ließ er töten.
Der zweite Vers läßt sich nicht als Übersetzung der lateinischen Version einordnen , er ist offenbar unabhängig entstanden. Corner druckt das Lied zusammen mit einer vollen Version des dies est laetitiae ab, die Melodie ist identisch, der Text eben nur "angelehnt"

Wer der Verfasser dieser Versionist, ist unbekannt. Luther war das Lied jedenfalls bekannt, er hat es mehrfach erwähnt, aber als Verfasser scheidet er aus. In der weiteren Entwicklungsgeschichte bleiben nun nur die ersten beiden Verse konstant, ab der dritten Strophe wechseln die Texte, mal werden sie wieder aus dem lateinischen Text übernommen, mal frei hinzugedichtet. Doch der Text inklusive der Strophe 3 war ursprünglich sowohl in lutherischen wie auch katholischen Gesangbüchern zu finden. Luther teilte das Mariendogma wonach Maria ante partum, peri partum et post partum Jungfrau blieb. In vielen älteren lutheranischen Gesangbücher wird er sogar als Autor bezeichnet.

Die lateinische Version des Liedes hat Luther offenbar sehr geschätzt, er bezeichnet sie als vom Heiligen Geist inspiriert. Viele lutherische Gesangbücher (zumindest die deutsch-amerikanischen) drucken  bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das Lied in der von Corner wiedergegebenen Version ab. Als Autor wird vorwiegend Luther selbst angegeben. Das Lied bleibt bei beiden Konfessionen mehr als 300 Jahr sehr stabil.

In meinem geliebten Konfirmandengesangbuch  (Erstauflage1951) findet sich das Lied nun nur noch mit den ersten beiden Strophen, die 3. und vierte Strophe fehlt,  Heute ist das Lied, das noch Bach und Praetorius zu Kompositionen inspiriert hat, weder in den katholischen noch in den evangelischen Gesangbüchern zu finden.

In den Diözesangesangbüchern findet sich das Lied schon nicht mehr durchgehend. Das Münsteraner Gesangbuch gibt die Strophen 1. - 3. wieder, in anderen Gesangbüchern fehlt es, oder es wird nur in einer stark umgetexteten Version wiedergegeben. Die Diözese von Speyer schießt da wirklich den Vogel ab, sie betätigt sich in jeder nur erdenklichen Weise an der Kirchenlied-Ermordung. Die Melodie wird "vereinfacht" und der 3. Vers hat folgenden führwahr schröcklichen Text (die anderen sind keineswegs besser) :
Wie sang die frohe Engelschar / in jener heiligen Stunde / die Luft war wie die Sonne klar / Und hallte von der Kunde / Heut ist der Erde Heil geschehn / Des freuen sich die Himmelshöhn / Und öffnen ihre Pforten / Dem Herrn sei Preis in Ewigkeit / Den Menschen Fried und Einigkeit / Und Segen allerorten
Dutzendware aus der Textbausteinkiste so weit das Auge blicket, aber irgendwie hatte der Autor in Erinnerung, daß es um "Sonne" und "klar" ging, warum aber nun die Luft, und nicht das Glas klar ist, ist ein Geheimnis, daß er wohl mit in sein Grab genommen hat. Das Buch nennt keinen Autor, denn sonst hätte ganz bestimmt die Schutzheilige der Musiker einen Würgeengel geschickt.

Zur Motivlage spreche ich mal eine Vermutung aus: man badet gerne lau.

Was die schon frühe Tilgung der dritten Strophe angeht, ist der Grund nicht schwer zu finden: das Dogma der "immerwährenden" Jungfräulichkeit der Gottesmutter, also auch nach der Geburt, ist den modernen Christen, vorsichtig gesagt, fremd.

In das Gotteslob ist das Lied ebensowenig aufgenommen worden, wie in das gemeinsame evangelisch Gesangbuch.

Zur Ehrenrettung des Gotteslobs 1975 muß man allerdings sagen, daß Marie-Luise Thurmair sich  stattdessen an einer direkten Übersetzung des lateinischen Urtextes versucht hat. Dort lautete der dritte Vers wie folgt:
Wie die Sonn das Glas durchdringt, / ohne es zu trüben / so ist, die den Herrn uns bringt / allzeit Jungfrau blieben / O Maria rein und groß / selig bist du, deren Schoß / Gottes Sohn getragen / selig Mutter Gottes wert / die den Herrn der Welt genährt / in den Erdentagen
Durchgesetzt hat sich das Lied nicht, 2013 verschwand es wieder aus dem Stammteil.

Warum nimmt man nicht - wie schon David Gregor Corner - den nur "verwandten" deutschen Text und den lateinischen auf? 
Ut vitrum non læditur, sole penetrante / Sic illæsa creditur, post partum et ante; / Felix hæc puerpera cujus casta viscera / Deum genuerunt, / Et beata ubera in ætate tenera / Christum lactaverunt.

Wörtlich übersetzt ist das allerdings schon ein bißchen erdennäher, als der schüchterne Text Marie-Luises:

Wie die Sonn das Glas durchdringt, ohn es zu zerbrechen / So glauben wir daß sie unverletzt blieb vor und nach der Geburt / Glücklich die Wöchnerin, deren jungfräuliche Eingeweide / Gott gebaren / und deren heilige Brüste, die in Ewigkeit jung bleiben / Christum Milch gaben.
Musiker und "Kulturschaffende" mögen das Lied, die FAZ hat es in ihre Sammlung aufgenommen, wenn man genau hinhört, hört man ihm gesungenen Text die "unerhörte" Strophe 3.

Montag, 15. August 2022

Und unser lieben Frauen Traum

Our Lady of Mariapocs

Wieder geht es um ein Lied, das aus den Liederbüchern ausgewandert ist, in diesem Fall nicht nur in den Konzertsaal, sondern in die berühmte Liedersammlung der Wandervogelbewegung, den "Zupfgeigenhansel". Es stammt aus Nikolaus Beuttners "Catholischem Gesangbuch" von 1602, wo es folgenden Wortlauf hat.

  1. Und unser lieben Frauen / der traumet ihr ein Traum / wie unter ihrem Herzen / gewachsen wär ein Baum / Kyrie eleison
  2. Und wie der Baum ein Schatten gab / wohl über alle Land / Herr Jesu Christ der Heiland / also ist er genannt / Kyrie ....
  3. Herr Jesu Christ der Heiland / ist unser Heil und Trost / mit seiner bittern Marter / hat er uns all erlöst. / Kyrie ... .
In der Originalversion scheint das Lied ab dem vierten Vers noch einmal neu zu beginnen. "Und unser liebe Frauen / die trug ein Kindelein ... ." es schließen sich dann 13 Verse an, die offenkundig den Charakter eines Wallfahrtsliedes haben: "Kommt er dann auch gen Kirchen / zu unser Frauen Haus / beicht er sein Sünd / hat Reue / so geht er ledig draus."

Beuttner hat die Lieder, die er in seinem Buch wiedergeben hat, meist schon vorgefunden, und in diesem Fall kann es sein, daß er zwei Lieder vorgefunden hat, die er entweder selbst zusammengesetzt hat, oder die schon in dieser Form vorlagen. In der dreistrophigen Version haben wir eine in den Advent einzuordnende "Leise", in der langen ein Wallfahrtslied, in der allerdings die dritte Strophe "stört". In der weiteren Rezeption finden sich deshalb meist zwei verschiedene Versionen, entweder die Version mit ersten drei originalen Versen - wie sie Max Reger verarbeitet hat - oder in einer Version, die die dritte Strophe ausläßt und mit der vierten weitergeht.

Auch die Melodie funktioniert nach dem "Copy and Paste"- Verfahren, die ersten zwei Zeilen haben die selbe Melodie wie "Es flog ein Täublein weiße", die sich dann etwas anders fortsetzt.

Max Reger hat eine ganz neue Melodie komponiert und eine wunderschöne Motette geschaffen. Beide Melodien kann man sich übrigens bei der "FAZ" anhören.

Samstag, 13. August 2022

Warum ich den "Alten" Rosenkranz bete.

Übergabe des Rosenkranzes an St. Dominicus

 Das erste, was ich nach meiner Aufnahme in die katholische Kirche besorgt habe, war die Anschaffung eines Rosenkranzes. Aber wie den Rosenkranz beten?

Um das Rosenkranzgebet und seinen Sinn zu verstehen, muß man die Wurzeln des Gebets kennen. Die Wurzel ist das Psalmengebet der Mönche, die seit mehr als einem Jahrtausend die 150 Psalmen beten, verteilt über die 56 Horen des Stundengebets. Schon sehr früh, wahrscheinlich ab dem achten Jahrhundert, entstanden verkürzte Psalmengebete für Laien, die nicht des Schreibens und Lesens kundig waren, anstelle der Psalmen wurden zunächst Vaterunser gebetet, die dann allmählich durch das Ave Maria ersetzt wurden. Es bleibt beim "Psalter", Knotenschnüre mit 150 Knoten, später Perlenschnüre an denen man die Gebete abzählen kann, existierten schon vor der "Übergabe des Rosenkranzes" an St. Dominicus im Jahre 1208. 

Dominicus, so die Überlieferung, erscheint während der Zeit der Albigenserkriege, nachdem er drei Tag gefastet und gebetet hat, die Gottesmutter, die ihm das Rosenkranzgebet übergibt. Der Ort dieser Übergabe ist bekannt, das 1206 gegründete Kloster der Dominikanerinnen in Prouilhe/Frankreich. Dominicus predigte und kämpfte damals gegen die manichäische Sekte der Katharer, hatte aber zunächst wenig Erfolg. Enttäuscht und ermüdet zog er sich 1208 zurück, fastete und betete 3 Tage. Am 3. Tag erschien ihm die Gottesmutter, die ihm den Rat gab, ihren Psalter als Waffe im Kampf einzusetzen. 

Wundere Dich nicht, daß Deine Arbeit so wenig Frucht getragen hat, denn Du hast auf einem unfruchtbaren Acker gesät, der noch nicht mit dem Tau der göttlichen Gnade gewässert war. Als Gott das Antlitz der Erde neu machen wollte, begann er damit, daß er den fruchtbaren Regen des Engelischen Grußes herabsandte. Deshalb predige meinen Psalter, der aus 150 engelischen Grüßen und aus 15 Vaterunsern besteht. und Du wirst reiche Ernte halten.

Den Psalter predigen, bedeutet, das Geheimnis des Glaubens mit diesem Gebet zu verbinden, und so geht nicht nur der Rahmen des Gebets, sondern auch die über viele Jahrhunderte damit verbundenen Geheimnisse des freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen "Rosenkranzes" auf diese Offenbarung zurück. Es passt einfach zu perfekt zu der Situation, die Dominicus vorfand, als daß es anders sein könnte, denn die Geburt aus der Jungfrau, die Selbsthingabe am Kreuz, die Auferstehung und Himmelfahrt widersprechen den elementaren Überzeugungen der zur Zeit Dominicus mächtigen Sekte der Albigenser. Die glaubten nämlich an den (pseudochristlichen) "Lichtgott", den nichts mit der Materie verbindet, der also nicht geboren werden kann, der nicht stirbt und also auch nicht auferstehen kann.

Den "Durchbruch", wie man heute sagen würde, erreicht Alanus de Rupe, der wiederum nach einer Vision, bei der ihm die Gottesmutter erscheint, das Rosenkranzgebet - noch immer ist die Rede vom Psalter - bekannt macht. Alanus, Mönch des Predigerordens, sorgt ab 1464 für die Verbreitung der Legende von der Übergabe des Rosenkranzes an Dominicus, reguliert den Rosenkranz in der heute bekannten Form mit insgesamt 150 Ave-Gebeten und 15 Paternostern und den damit verbundenen Meditationen über Geburt, Passion und Auferstehung des Herrn, gründet auch die erste Rosenkranzbruderschaft unter der Bezeichung " Confratria D.N. Psalterii Jesu Christi et Mariae Virginis, nach wie vor ist also vom "Psalter" die Rede

1569 befaßt sich erstmals ein Papst, nämlich  der Dominikaner-Papst Pius V mit dem Rosenkranzgebet, in seinem breve "consueverunt Romani Pontifices" lesen wir:

Und so sah Dominicus diesen einfachen Weg, um zu Gott zu beten und ihn zu bestürmen, zugänglich für alle und ganz gottesfürchtig, den man den Rosenkranz nennt oder den Psalter der Gebenedeiten Jungfrau, in welchem Gebet wir die Allerseligste Jungfrau mit dem engelischen Gruß verehren, der einhundertfünfzig Mal wiederholt wird,  entsprechend der Zahl der Psalmen Davids, ergänzt um das Gebet des Herrn vor jeder Dekade. Eingefügt in dieses Gebet sind gewisse Meditationen, in denen wir das ganze Leben unseres Herrn Jesus Christus betrachten, wodurch wir die Methode des Gebets vervollständigen, die von den Vätern der Heiligen Römischen Kirche geschaffen wurde.

Die Rosenkranzbruderschaften breiten sich aus, dem Rosenkranzgebet schreibt die Kirche 1571 den Sieg bei Lepanto zu. Wieder wird das Rosenkranzgebet zur Waffe im keineswegs nur geistlichen Kampf.

In der Zeit nach dem tridentinischen Konzil wird der Rosenkranz ergänzt durch ein "Credo-Kreuz", das Glaubensbekenntnis wird vor dem eigentlichen Rosenkranz gebetet, später kommen dann drei weitere Ave-Perlen dazu für die drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe.

1917  wird der Rosenkranz noch einmal ergänzt, auf das Gloria folgt nun das Stoßgebet "O mein Jesus ... "

Auch die neuzeitlichen Päpste haben sich mit dem Rosenkranz auseinandergesetzt. Leo XIII hat allein 12 Enzykliken über das Rosenkranzgebet veröffentlicht, beginnend mit dem 25. Jahrestag der Erscheinung von Lourdes 1883, Leo empfahl ausdrücklich, wieder in einer Zeit der Not und Bedrängnis der Kirche, das öffentliche Rosenkranzgebet vor allem während des Rosenkranzmonats Oktober gemeinsam mit der Lauretanischen Litanei.

Das Paul VI das eher anders sieht, war zu erwarten. Pauls Intention war es nicht gerade, die Marienverehrung zu fördern, auch wenn er in Marialis Cultus das Gegenteil behauptet. Der Rosenkranz wird in Marialis Cultus eher stiefmütterlich behandelt. So wird der eben gerade nicht ausschließlich christologische Charakter betont, das Gebet des Rosenkranzes während der Messe ausdrücklich verboten und ganz im Gegensatz zu Leo XIII das Gebet vorwiegend für den privaten Gebrauch empfohlen. Dies ist, nun der Papst, der Mariä Lichtmeß und Mariä Verkündigung "christologisch" umbenamst hat, also zu Herrenfesten umdefiniert hat, und die Marienverehrung mit vielen weiteren Maßnahmen eher gemindert als gemehrt hat.

Auch Johannes Paul II hat sich mit dem Rosenkranz befasst, den er im übrigen häufig selbst gebetet hat, aber auch er will um jeden Preis das marianische Gebet nicht nur "christologisch" definieren, sondern noch zusätzlich christologisch "verdeutlichen". So schreibt er in  "Rosarium Virginis Mariä"

Von den vielen Geheimnissen des Lebens Christi führt der Rosenkranz, so wie er in der allgemeinen Frömmigkeitspraxis entstanden ist und von der kirchlichen Autorität bestätigt wurde, nur einige an. Diese Auswahl ist durch die ursprüngliche Gebetskette vorgegeben, die sich basierend auf der dem Psalterium entsprechenden Zahl 150 herausgebildet hat.

Um den christologischen Gehalt dieses Gebetes deutlicher zu machen, halte ich es für angebracht, eine angemessene Ergänzung vorzunehmen, die auch die Geheimnisse des öffentlichen Lebens zwischen der Taufe und dem Leidensweg Christi einbezieht, wobei ich es den einzelnen und den Gemeinschaften überlasse, davon Gebrauch zu machen

 Nein, nein, nein, nein und nochmals nein. Es sind insgesamt fünf Argumente, die gegen diese "Reform" sprechen:

  1. Johannes Paul der Zweite erwähnt selbst die enge Beziehung zwischen den 150 Aves des Rosenkranzes und den 150 Psalmen Davids. Eine Erhöhung der Zahl auf 200 zerreißt diese Verbindung.
  2. Bei den 15 Gesätzen des ursprünglichen Rosenkranzes steht in 7 Maria im Vordergrund (1-5 "Den Du, o Jungfrau ...; 14 und 15 "Der Dich o Jungfrau"), fügt man dem 5 weitere Gesätze hinzu, die den "christologischen Gehalt deutlicher machen" sollen, wird diese Balance verändert,.
  3. Nimmt man die Überlieferung ernst, daß die Jungfrau selbst Dominicus - und Alanus de Rupe - diesen Rosenkranz "übergeben" hat, und keinen anderen, haben wir ein Autoritätsproblem, denn wem also sollen wir dann folgen, der Gottesmutter selbst oder dem Papst, der die Überlieferung wie Paul VI und entgegen Pius V und Leo XIII übrigens nicht einmal erwähnt.
  4. Die zeitliche Ordnung der Gebete gerät in Unordnung. Bis zu JPIIs Intervention wurde der freudenreiche Rosenkranz am Montag und Mittwoch, der schmerzhafte am Dienstag und Freitag, der glorreiche am Mittwoch und Samstag gebetet, beginnt man nun mit dem freudenreichen am Donnerstag, landet der "lichtreiche" auf dem Samstag, wo er - JPII sieht es selbst - nicht hingehört. Also haben wir nun ab Donnerstag die von der zeitlichen Ordnung her unsinnige Abfolge Leben Jesu (Licht), Tod Jesu (Schmerz), Geburt Jesu (Freude), Auferstehung, Himmelfahrt (Glorie)
  5. Leo XIII hat in den drei Rosenkranzgruppen eine sinnvolle Ordnung erkannt. Der freudenreiche zeigt uns das Leben Jesu in der Verborgenheit - gegen die Eitelkeit der Welt; der schmerzhafte Rosenkranz bringt uns Schmerz und Tod in Erinnerung, die uns jeden Tag umgeben und die wir nicht verdrängen dürfen; der glorreiche Rosenkranz erinnert uns an das Ziel, dem wir zustreben und nach dem wir unser Leben ausrichten sollen, das Himmelreich.
JPII selbst hat es den Gemeinschaften ausdrücklich überlassen von seiner Anregung Gebrauch zu machen. Ich bedanke mich und bete jedenfalls den "Alten" Rosenkranz, so wie er jahrhundertelang gebetet worden ist. 

Johannes Paul II bietet davon abgesehen gute Argumente für den Rosenkranz, und seine eindringliche Bitte, auch die Stille des Gebets, vor allem nach der Ankündigung der Geheimnisse nicht zu vergessen, nehme ich mir gerne zu Herzen.



Mittwoch, 3. August 2022

Aus hartem Weh die Menschheit klagt


Nicht erst aus dem Barock, sondern schon aus der Renaissance stammt dieses Lied, daß zuerst in einer Handschrift auftaucht, die man auf das Jahr 1524 datieren konnte. Eine weitere Spur findet sich im allerallerersten katholischen Gesangbuch von Michael Vehe 1537, und in der Folge wird es immer wieder in katholischen Gesangbüchern abgedruckt, allerdings mit absteigender Tendenz, daß es heute noch häufig gesungen wird, ist zu bezweifeln.

"Aus hartem Weh klagt menschliches Geschlecht, es stund in großen Sorgen" beginnt es leicht holpernd in Nikolaus Beuttners Werk "Catholisch Gesangbuch" erstmals erschienen im Jahre 1602 und bis 1718 in immer neuen Auflagen nachgedruckt. "Aus hartem Weh klagt menschlichs Gschlecht, es stund in großen Sorgen / wann kommt der uns erlösen möcht " so lautet der Liedanfang in David Corners "Groß Catolisch Gesangbüch" 1625.

Die Liedtexte variieren, Heinrich Bone dampft die 9. Strophen Corners auf nur noch vier ein, doch die Struktur des Textes - ein Gespräch zwischen den drei göttlichen Personen und dem Erzengel Gabriel - bleibt erhalten. Unverändert bleibt auch die Melodie, die in einer besonders dunklen, traurigen, mysteriösen Kirchentonart, der phrygischen, gehalten ist. Ein Klagelied, nicht nur vom Text, sondern auch vom Klang.

"Gott Vater hört das Klaggeschrei der schwerbedrängten Kinder" - Heinrich Bone, sonst eher geneigt, die barocken Emotionen zu dämpfen, hat hier sogar noch eine Schippe draufgelegt. Seine überarbeitete Version bringt den wesentlichen Inhalt auch in der Verkürzung auf 4. Strophen:

  1. Aus hartem Weh die Menschheit klagt / Sie stand in großen Sorgen / Wann kommt, der uns ist zugesagt / wie lang bleibt er verborgen? / Oh  Herr und Gott sieh an die Not / zerreiß des Himmels Ringe! / Erwecke uns Dein ewig Wort / und laßt herab ihn dringen / den Trost ob allen Dingen.
  2. Gott Vater hört das Klaggeschrei der schwerbedrängten Kinder / der Heil´ge Geist voll Lieb und Treu / will Gnade für die Sünder. / Gott Sohn der spricht. "Ach Vater mein / den Jammer laß und enden! / Soll denn der Mensch verloren sein? / mich selber wollest senden / sein Elend abzuwenden.
  3. Gott Vater das mit Huld vernahm / der Sohn verlangt zur Erde / der Heilge Geist herniederkam / damit das Wort Fleisch werde. / Maria, die erkoren war, hat Gottes Sohn empfangen / durch ihn ist uns das Heil gebracht / zu Ende ist das Bangen / erfüllt der Welt Verlangen.
  4. Drum singen wir mit Freuden all / von dieser Jungfrau reine / und preisen mit dankreichem Schall / ihr Kindlein allgemeine / und bitten, daß sie bei uns sei / wenn einst es kommt zum Sterben /daß wir durch ihre Fürbitt treu / den Trost des Heils erwerben / und ew´ges Leben erben.
Mit dem Urtext hat das nur noch wenig gemein, es handelt sich vielmehr um eine völlige Neudichtung, viel von der Farbe und der Tiefe des alten Textes ging dabei verloren, 

Das Bild, daß der Herr den Himmel zerreißen und herabsteigen möge, geht auf Jesaja 63, 19 zurück "Wir sind geworden wie die, über die du nie geherrscht hast, über denen dein Name nie ausgerufen wurde. Hättest du doch den Himmel zerrissen und wärest herabgestiegen, sodass die Berge vor dir erzitterten".
"O Heiland reiß die Himmel auf" - auch Friedrich von Spee bezieht sich auf die flehentliche Bitte des jüdischen Volkes, der Herr selbst möge die Himmel zerreißen und herabsteigen.

Das Lied hört zu den Einheitsliedern, die von den deutschsprachigen katholischen Bistümern vereinheitlich und in allen Gesangbüchern veröffentlich wurden. Es wird noch in das Gotteslob 1975 aufgenommen, verschwindet jedoch mit dem Gotteslob 2013 in den einen oder anderen Anhang, oder auch ganz.

Klagelieder im Advent mag man nicht mehr hören? Der Advent ist, so scheint es, von einer Zeit der Besinnung, der Erwartung, der flehentlichen Bittgesänge, des Fastens und Gebets zur "Vorweihnachtszeit" geworden, zum "lieben Advent". 

Die lateinische Kirche hat schon seit jeher die Adventszeit eher stiefmütterlich behandelt. Die ursprünglich 6-wöchige Adventszeit wurde auf vier Wochen verkürzt, Fastengebote wurden 1917  ganz abgeschafft. Daß dann der Advent zu einer Art Vorfeier der Weihnachtszeit geworden ist, braucht niemanden zu wundern, auch daß traurige Gesänge nicht mehr so gefragt sind. 

Die Aufnahme gefällt mir nicht sooo gut (expressiv düdelnde Organisten kann ich nicht leiden) aber man kann jedenfalls ahnen, wie das Lied klingen könnte.