Donnerstag, 18. August 2022

Ave Maria Zart

Lochner, Madonna im Rosenhag

Johann Georg Franz Braun hat nicht nur den Text gedichtet, sondern auch die Musik komponiert. 1675 ist sie in seinem "Echo hymnodiae coelestis" erstmals veröffentlich worden.
 
So hätte es eigentlich bleiben können:

  1. Ave Maria zart / du edler Rosengart / Lilien weiß ganz ohne Dornen : ich grüße dich zur Stund / mit Gabrielis Mund / Ave die du bist voller Gnaden.
  2. Du hast des Höchsten Sohn / Maria rein und schön / in deinem Leib verschlossen gtragen : Jesum das liebe Kind / so da die Sünder blind / errettet hat aus allem Schaden
  3. Durch Evae Apfel-Biß / Gott uns verstoßen ließ / und sollten sein ewig verloren : da ist göttliches Wort / Jesu dein Söhnlein zart / zu unserm Heil ein Mensch geworden.
  4. Durch sein kostbares Blut / ist des Satanas Mut / gestürzt / der Höllen Pfort zerbrochen : durch sein fünf Wunden rot / und sein schmerzlichen Tod / des Tods und Teufels Trutz gerochen
  5. Darum o Mutter mild / befiel uns deinem Kind / bitt, daß er uns die Sünd verzeihe: endlich nach diesem Leid / die ewig Himmels-Freud / durch dich Maria uns verleihe / Amen.

Dazu noch eine wundervolle Melodie, einfach makellos. Aber nicht ganz. Das Lied hat seine kleinen Unvollkommenheiten, Dornen reimt sich nicht auf Gnaden, gtragen nicht auf Schaden, verloren nicht auf geworden, was das Wort gerochen bedeutet, muß man einem Sprecher des 21. Jahrhunderts schon erklären. Auch bei Sohn/schön Wort/zart mild/Kind Leid/Freud holpert es etwas. Aber wen stört das?

Die Kirchengesangbuchredakteure stört es natürlich. Zunächst aber ist das Lied nach 1701 erst einmal ganz verschwunden. Wiederentdeckt hat es 1833 Ludwig Aurbacher, kein Hymnenforscher, sondern ein Dichter. Bis Georg Thurmair in seiner äußerst einflußreichen Liedersammlung "Kirchenlied" das Lied überarbeitet und wieder populär macht, bleibt es nur wenig beachtet. Positiv zu vermerken wäre, daß "Ave Maria zart" danach in den Diözesangesangbüchern und bis heute im Stammteil des Gotteslobs zu finden ist, negativ, daß am Ende der "Überarbeitung" kaum noch ein Stein auf dem anderen blieb.

Das ist weniger auf Thurmair zurückzuführen, der offenbar vor allem die Reime versäubern wollte, als vielmehr auf die Abrißbirnen der GL75-Redaktion.

Thurmair ersetzt im ersten Vers "Dornen" durch "Schaden", so daß nun der Reim reimt, aber leider der Sinn verloren geht, denn Braun hatte doch den "hortus conclusus" des Hohen Liedes vor Augen. "Sicut lilium inter spinas", wie die Lilie unter den Dornen.

Auch der zweite Vers hat gelitten, in den Gotteslöbern lesen wir:

Du hast des Höchsten Sohn, Maria rein und schön / in deinem keuschen Schoß getragen / den Heiland Jesu Christ / der unser Retter ist / aus aller Sünd und allem Schaden.

Wieder wird der Verweis auf das Hohe Lied unterschlagen. "Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born (Hld 4,12) - daher das Wort verschlossen in Brauns Text. Der "keusche" Schoß meint nun etwas anderes als die Gebetbuch-Verfasser denken. Keusch, mittelhochdeutsch kiusche, ist ein ethischer Begriff, der sich nur auf eine Person beziehen kann, zu denken ist an "sittsam". Der keusche Schoß ist daher, ethymologisch betrachtet, Non-Sens. Das "liebe Kind" wird uns ebenso vorenthalten wie die "Sünder blind", beides ließ Thurmair unangetastet, stattdessen begegnet uns nun der konventionelle Pleonasmus Heiland/Retter. Von innig zu billig, kein guter Tausch.

Ganz übel hat es die dritte Strophe erwischt:

Denn nach dem Sündenfall, wir warn verstoßen all, und sollten ewig sein verloren, / da hast du reine Magd / wie dir vorhergesagt/ uns Gottes Sohn zum Heil geboren.

 Der innere Frauenbeauftragte, der in jedem modernen Katholiken wohnt, wollte ja schon immer Eva aus der Schußlinie holen, auch dem "lieben Gott" darf man ja nichts Böses nachsagen. Aber nun tritt an Stelle der personalen Eva und des personalen Gottes der abstrakte "Sündenfall". In der Rhetorik nennt man das "Deagentivierung".  Bürokratendeutsch schreibt so, denn wovor der Bürokrat am meisten scheut, ist die Übernahme von Verantwortung. Und auch das noch: anstelle der Anspielung auf das Wort, das Fleisch geworden ist, lesen wir nun dröge Standard-Mariologie. 

Den vierten Vers hat Thurmair nicht angerührt, nicht so die Gotteslob-Redakteure, der ganze Vers fiel der "Delete"-Taste zum Opfer. Begründung? Im Redaktionsbericht zum Gotteslob I heißt es, die Streichung sei wegen "einiger veralteter Ausdrücke" erfolgt. Für "veraltet" hält die Redaktion offenbar die Ausdrücke "kostbares Blut" , "Satanas Mut" , "Höllen Pfort" und "Wunden rot".

Mit der Streichung verliert der nunmehr vierte Vers seinen Bezugspunkt. Das "Darum o Mutter mild" bezieht sich nun auf Jesu Geburt, und nicht mehr auf Jesu Passion. So war´s jedenfalls nicht gemeint.

In Wahrheit hat die Redaktion vor dem Zeitgeist eine bodentiefe Verbeugung geleistet. Denn nur vier Jahr zuvor hatte ein Lied die Charts gestürmt, das sich bei Lichte betrachtet, als lupenreine neokommunistische Hymne entpuppt, John Lennons "Imagine"

  1. Imagine there´s no heaven/ It´s easy if you try, No hell below us, Above us only sky
  2. Imagine there´s no countries, It isn´t hard to do, Nothing to kill or die for, And no religion too
  3. Imagine no possessions, I wonder if you can, No need for greed or hunger, A brotherhood of men
Ein "Friedenslied" das die meisten Spät-Hippies - zu denen so mancher unbedarfte Katholik zählt - noch immer in hymnischen Tönen preisen. Aber teilt John Lennon seine Idee von einer Welt ohne Religion, ohne Vaterländer und ohne Privateigentum nicht mit Karl Marx, Friedrich Engels, Josef Stalin, Pol Pot und Kim Il Sung?


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