Maria im Garten 15. Jhdt. |
In 400 Jahren haben es Katholiken und Protestanten nicht geschafft, sich auf eine einheitliche Version dieses Liedes zu einigen, eines der meist gesungenen und gespielten Weihnachtslieder überhaupt.
Die Bifurkation - hie gut katholisch - dorten gut evangelisch - setzte bereits 1609 ein, kurze Zeit, nachdem das Lied erstmals 1599 in einem katholischen Gesangbuch abgedruckt wurde. Das Lied ist älter, das älteste Textzeugnis datiert von 1587, es dürfte damals schon viele Jahre mündlich überliefert worden sein. Die ersten beiden Strophen, die wir bis heute singen - wie gesagt, je nachdem auf welcher Seite des Konfessionsgraben wir stehen - haben folgenden Wortlaut:
- Es ist ein Ros entsprungen / aus einer Wurzel zart / als uns die Alten sungen / aus Jesse kam die Art / und hat ein Blümlein bracht / mitten im kalten Winter / wohl zu der halben Nacht
- Das Röslein das ich meine / davon Jesaja sagt / ist Maria die reine / die uns das Blümlein bracht / aus Gottes ewgem Rat / hat sie ein Kindlein gboren / und blieb ein reine Magd.
In der ersten gedruckten Version von 1599 folgen 21 weitere Verse, die man als Erzähllied einstufen kann.
Es handelt sich um ein Rätsellied. Wer ist das "Ros", wer ist die Wurzel und wer das Blümlein? Der erste Vers enthält schon ein paar Hinweise, mit denen ein bibelfester Codeknacker in Windeseile das Rätsel lösen könnte, vor allem wenn er die Vulgata kennt.
"Egredietur virga de radice Jesse / et flos de radice eius ascendet" (Jesaja 11,1) "Es wird hervorgehen ein Reis aus der Wurzel Jesse / und eine Blume wird aus ihrer Wurzel aufgehen". Schon die Kirchenväter haben die "virgo" mit der "virga" in Verbindung gesetzt, die Virgo, die aus der Wurzel Jesse stammt, bringt das Blümlein hervor. Rätsel gelöst, der zweite Vers bringt die Lösung noch einmal für die weniger Bibelfesten, das Reis ist Maria, das Blümlein ist das Kindlein und Maria blieb ante partum, peri partum und post partum Jungfrau.
Des Rätsels Lösung gefiel schon 1609 dem protestantischen Komponisten Praetorius nicht, und so lautet bei Praetorius der zweite Vers:
Das Röslein das ich meine / davon Jesajas sagt / hat uns gebracht alleine / Mary die reine Magd / aus Gottes ewgem Rat / hat sie ein Kind geboren / ...
Bei der letzten Zeile hat den Hofkapellmeister und geheimen Kammersekretär Praetorius die Dichtkunst gleich ganz verlassen, es waren andere, die dann die letzte Zeile mit "wohl zu der halben Nacht" oder anderswie beendeten. Nun blieb das Rätsel ungelöst, denn daß das Röslein jetzt gleich dem Blümelein sein soll und daß das Röslein aber trotzdem ein Blümelein hervorbringt, das kann man ja gar nicht glauben. Dichtkunst und Logik leiden, aber Praetorius Komposition war sehr erfolgreich und gehört zum klassischen Repertoire jedes Chors.
Woher die Melodie stammt ist unbekannt, schön ist sie jedenfalls und sie hat uns das Lied gerettet bis heute.
Das Blümelein so kleine das duftet uns so süß / mit seinem hellen Scheine vertreibts die Finsternis / Wahr Mensch und wahrer Gott / hilft uns aus allem Leide / rettet von Sünd und Tod
O Jesu bis zum Scheiden / aus diesem Jammertal / laß dein Hilf uns geleiten / hin in den Freudensaal / In deines Vaters Reich / da wir dich ewig loben / O Gott uns das verleih
Das Lied wird auch in die Diözesan-Gesangbücher übernommen, allerdings in der Vorkriegsversion ergänzt durch meist zwei "Erzählstrophen" aus der Urfassung von 1599, die poetisch mit den ersten beiden Strophen nicht mithalten können und so wirken, wie sie schon vor vierhundert Jahren gewirkt haben, nämlich lieblos drangeklebt.
Das "Kirchenlied" (von Georg Thurmair et. al.) nimmt stattdessen die beiden Ur-Strophen, fügt als dritte Layriz duftendes Blümlein dazu und prägt damit die Diözesan-Gesangbücher nach 1945.
Das Gotteslob 1975 "erfreut" uns mit einer "ökumenischen" Version, die den zweiten Vers im Sinne von Praetorius "christologisch" umdichtet. Praetorius "Röslein"-Fehler wird beseitigt, so daß uns Maria nunmehr das "Blümlein" bringt , Maria bleibt konsequenterweise keine reine Magd, stattdessen macht uns nun das Blümlein selig. Die Bifurkation ist beseitigt - zu lasten der katholischen Tradition.
Wirklich glücklich ist damit nun keiner geworden, so daß das GL2013 wieder zur Urfassung von 1587 zurückkehrt, ergänzt um einen Layriz-Vers, den mit dem duftenden Blümlein/Röslein. Dafür muß nun das ach so schwer erarbeitete "ö" in Klammer gesetzt werden, im EKG bleibt es ungeklammert erhalten. (Es erhob sich übrigens darob großes Wehklagen unter den Ö-Katholen zwegens des Verrats an der ökumenischen "Idee"). Der erste Layriz-Vers bleibt erhalten.
Ich bekenne: Layriz "duftendes Blümlein" finde ich gut, der Vers darf bleiben. Aber mit den ersten beiden Versen allein kann man auch gut leben, natürlich nur mit den echt ehrlich wirklich wahren Ur-Versen (in meiner Gemeinde werden sowieso meist nur zwei Verse gesungen). Eine Fassung aus dem Urtext und einem Teil der Layriz-Nachdichtung könnte so aussehen:
- Es ist ein Ros entsprungen / aus einer Wurzel zart / als uns die Alten sungen / aus Jesse kam die Art / und hat ein Blümlein bracht / mitten im kalten Winter / wohl zu der halben Nacht
- Das Röslein das ich meine / davon Jesaja sagt / ist Maria die reine / die uns das Blümlein bracht / aus Gottes ewgem Rat / hat sie ein Kindlein gboren / und blieb ein reine Magd.
- Das Blümelein so kleine / das duftet uns so süß / mit seinem hellen Scheine / vertreibts die Finsternis / Wahr Mensch und wahrer Gott / hilft uns aus allem Leide / rettet von Sünd und Tod
- O Jesu bis zum Scheiden / aus diesem Jammertal / laß dein Hilf uns geleiten / hin in den Freudensaal / In deines Vaters Reich / da wir dich ewig loben / O Gott uns das verleih
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