Freitag, 30. September 2011

Unüberwindlich starker Held


Das Michaelslied des Gotteslobs unter Nr. 606 gibt als Autoren des Textes Friedrich Spee an. So ganz stimmt das nicht. Denn der Text ist nicht unwesentlich verändert. In diesem Fall aber nicht nur zu seinem Nachteil. Das Original beginnt nicht mit den Worten "Unüberwindlich starker Held" sondern holprig mit "O unüberwindlicher Held". Die leichten Textvariationen, die in der Folgezeit vorgenommen wurden, dienten der Anpassung an die Melodie. Es kann jedenfalls nicht ganz schlimm sein, wenn man die Texte des Heros Spee ein bißchen verändert, damit sie singbarer werden.

Das Gotteslob nimmt allerdings eine Änderung vor, die nicht nur der poetisch/musikalischen Harmonisierung dient, sondern den Sinn des Liedes ändert. Der Anwortvers lautet im Original "Hilf uns hie kämpfen, die Feind zu dämpfen" und wurde über die Jahrhunderte, in denen das Lied in katholischen Liederbüchern erschien, auch nicht verändert. Den Gotteslob-Redakteuren erschien dies wohl zu irdisch-militaristisch, das "Hilf uns im Streite, zum Sieg und leite" der Gotteslobversion ist zwar poetisch nicht zu kritisieren, entkörperlicht aber den Kampf zum Streit. Das Lied ist aber, wie vor allem die lateinische Version zeigt, aus der Situation des Dreißigjährigen Krieges entstanden, und kann durchaus als Kampflied des "Deutschen Michel" verstanden. oder auch mißverstanden werden. Da ruft nicht nur die Kirche um Hilfe gegen ihre Feinde, sondern auch das deutsche Volk, das in den letzten Phasen des Dreißigjährigen Krieges Schauplatz eines mörderischen Kriegs der europäischen Nationen geworden war, der 2/3 der deutschen Bevölkerung das Leben kostete.

Nachdem im zwanzigsten Jahrhundert aber nun alles deutsch-nationale in Verrruf geraten war, geriet auch dieses Lied in Verruf. Teilweise hat man das Michaelslied als deutsch-nationales Kampflied sehen wollen.  Daß das Gotteslob den "Kampf" gegen "die Feinde" (und nicht etwa "den Feind") zensuriert, vollzieht dies nach. Die lateinische Version geriet in Vergessenheit, obwohl sie, wie dieses kleine Zitat aus Gottfried Kellers Züricher Novellen zeigt, im deutschen Sprachraum durchaus populär gewesen sein muß.
»Willst du schöne Bücher schreiben und malen lernen mit Gold und bunten Farben, Lieder singen und die Fiedel spielen,« sagte der Singmeister, »schöne Mailieder, kluge Sprüche und das Michaelslied: O heros invincibilis dux – oder wie hast du heut gesungen?« »O Herr, o Vizibiliduxi heißt es,« rief Johannes eifrig, und lachend fragte Konrad, wer ihn das gelehrt habe.
Darf man als Katholik "deutsch" empfinden, oder haben wir catholically correct ultramontan zu denken? Ich glaube, man darf, und auch der deutsche Papst versteht sich keineswegs als Internationalist.
Hölderlin hat gesagt: Am meisten vermag doch die Geburt. Und das spüre ich natürlich auch. Ich bin in Deutschland geboren, und die Wurzel kann nicht abgeschnitten werden und soll nicht abgeschnitten werden. Ich habe meine kulturelle Formung in Deutschland empfangen. Meine Sprache ist deutsch, und die Sprache ist die Weise, in der der Geist lebt und wirksam wird. 
Und auch dieses Lied, das wohl nicht nur in seiner deutschen, sondern wohl auch in seiner lateinischen Fassung auf Spee zurückgeht, läßt dies, die Identifikation mit der eigenen Nation zu, es ruft den Erzengel der Kirche, aber auch dem deutschen Volk zu Hilfe.

  1. Unüberwindlich starker Held, / Sankt Michael, / komm uns zu Hilf / zieh´ mit zu Feld / Hilf uns zu kämpfen, die Feind zu dämpfen/ Sankt Michael.
  2. Die Kirch dir anbefohlen ist; / St. Michael / du unser Schutz- und Schirmherr bist / hilf uns ...
  3. Du bist der himmlisch Bannerherr / - / die Engel sind dein Königsheer./ hilf uns..
  4. Groß ist dein Macht / groß ist dein Heer/ - / Groß auf dem Land, / groß auf dem Meer / hilf uns ..
  5. Von deiner Macht zu sagen weiß/ - / der höllisch Drach´und sein Geschmeiß/ hilf uns..
  6. Den Drachen du ergriffen hast / - / und unter deinen Fuß gefaßt/ hilf uns ...
  7. Mit Lucifer hast du gekämpft / - / und hast sein Heer mit Macht gedämpft/ hilf uns ...
  8. O starker Held groß ist dein Kraft/ - / Ach komm mit deiner Ritterschaft/ hilf uns ...
  9. Beschütz mit deinem Schild und Schwert / - / die Kirch, den Hirten und die Herd. / hilf uns ...
  10. Vor Pest, vor Krieg, vor Hungersnot / - / errette vor dem jähen Tod/ hilf uns ...
  11. O großer Fürst verlaß uns nit / -/ das ist einhellig unsre Bitt´/ hilf uns
Die lateinische Version ist jedenfalls nicht älter als die deutsche, ein erster Abdruck der deutschen Version erschien 1621 im "Würzburger Lustgärtlein" , ein erster Abdruck der lateinischen Version erschien 1642 im "Psalteriolum Harmonicum". Nimmt man diese Erscheinungsdaten für das Alter der beiden Versionen, so erklärt sich die nicht unwesentlich veränderte textliche Fassung vielleicht mit der Entwicklung des dreißigjährigen Krieges, der sich von einem Konfessionskonflikt zu einem europäischen Weltkrieg entwickelte hatte.

  1. O heros invincibilis, / Dux Michael/ Adesto nostris praeliis / Ora pro nobis, pugna pro nobis / Dux Michael
  2. Tu noster dux militiae / - / defensor es ecclesiae. 
  3. Coelestes omnes spiritus / - / Pars tui sunt exercitus.
  4. Per terras atque maria / - / Sunt note tua proelia.
  5. Per te, o heros belliger / - / prostratus iacet Lucifer.
  6. O magne Heros gloriae / - / Protector sis Germaniae.
  7. Ad arma, ad arma angelos / - / Ad arma voca subditos
  8. Erectis procul hostibus / - / Fer opem desperantibus.
  9. Afflictae pridem patriae / - / Optatam pacem reddite.
  10. A fame, peste libera / - / A servitute vindica.
  11. O Michael, Archangele / - / Hac voce oro supplice.
Ab der sechsten Strophe wandelt sich dieses Lied zum Bittgebet des in der Katastrophe des Dreißigjährigen Kriege verheerten Germaniens um Hilfe: O großer, ruhmreicher Held, sei der Beschützer Germaniens, ruf deine Engel zu den Waffen, vertreib die Feinde, bring Hilfe den Mutlosen, gib dem betrübten Vaterland den ersehnten Frieden zurück, befrei vor Hunger und Pest, errette vor Knechtschaft, O Michael, erhör dies flehentlich Gebet.

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1 Kommentar:

  1. Sehr schöner Text, sehr ausführlich und auf die historischen Hintergründe eingehend.
    Das "Psalteriolum Harmonicum" erschien übrigens meines Wissens nicht 1942, sondern 1642; insoweit dürfte es sich um einen Druckfehler handeln.

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