Samstag, 30. Juli 2022

Es flog ein Täublein weiße


Manche Kirchenlieder haben, nachdem ihr erstes Leben, das in den Gesangbüchern und im Gemeindegesang beendet ist, noch ein zweites, ein Leben in den Konzertsälen. Vieles spricht dafür, daß der Exodus aus den Gesangbüchern nicht an der Qualität, auch nicht an der Beliebtheit des Liedes gelegen haben kann, sondern vielmehr daran, daß wohlmeinende Kompilatoren dem Corpus musicus/poeticus zu Leibe rückten. Das Neue Geistliche Lied, anschließend kirchenamtlich verordnet, stirbt alsobald eine stillen Tod.

Die Methode ist seit der Aufklärung stets dieselbe. Unter dem Vorwand der besseren Singbarkeit werden Melodien "vereinfacht",  die lebendigen, synkopenreichen barocken Rhytmen, vorwiegend im ¾-Takt, werden in braven Viervierteltrott umgewandelt, Melismen ausgerodet, an die Stelle der nach heutigem Geschmack mystisch und traurig klingenden "Kirchentonarten" tritt ein heiteres aber auch banales Dur. Vermeintlich unverständliche Texte werden in Theologendeutsch "übersetzt", die mystische Dimension allzumenschlich allzuirdisch verflacht, bis daß das resultierende Produkt den Reiz eines frischgebügelten Liebestöters versprüht.

Dem "Täublein weiße" ist es so ergangen. Zum ersten Mal findet sich das "Täublein" in Beuttners "Catholisch Gesangbuch" von 1602, dort hat es noch folgenden (der heutigen Schreibweise angepassten) Wortlaut:

  1. Es flog ein Täublein weiße vom Himmel herab / Im Engelischen Kleide / zu einer Jungfrau zart / es grüßet sie so hübsch und säuberlich / ihr Seel ward hochgezieret / gesegnet ward ihr Leib / Kyrie eleison
  2. Gegrüßet seist ein Königin / der Herr der ist mir dir / du wirst ein Kindlein gebähren / das sollst du glauben mir / sie antwort ihm dem Himmelischen Bot / Hab ich mein Keusch versprochen / dem Allmächtigen Gott / Kyrie eleison
  3. Hast du dein Keusch versprochen / dem Allmächtigen Gott / so wird er zu dir kommen / wohl durch das Göttlich Wort / er kommt zu dir wohl so gar ohn arge List / ein Magd wirst du bleiben / die immer und ewig ist / Kyrie eleison
  4. Gscheh mir nach deinen Worten / und nach dem Willen Gott / so geb ich meinen Willen / weil ich gebähren soll / Sie schloß wohl auf ihres Herzens Fensterlein / wohl zu der selben Stunde / der heilig Geist ging ein / Kyrie eleison
  5. Da wohntens beieinander / die Magd und Jesus Christ / bis auf den Weihnachts-Morgen / da er geboren ist / der wahre Gottes-Sohn / die Menschheit an ich nahm / des sagen wir armen Sünder / ihm ewig Lob und Dank / Kyrie eleison
  6. Da ward er uns geboren / der wahre Gottes Sohn / der uns zu Trost ist worden / den Sündern allesamt / Ach Gott warum tat er aber das / er her wiederum bringen / was Adam und Eva verbrach / Kyrie eleison
  7. Die Eva hat zerbrochen / und Adam das Gebot / Maria hat Gnad gefunden / hat uns Heil wiederbracht / wohl durch ihr Frucht des Leibs Herrn Jesum Christ / das Heil ist uns entsprungen / der Himmel-Aufschließer ist / Kyrie eleison
  8. Der Himmel ward aufgeschlossen / wohl durch den Schlüssel klar / Maria ist der Garten / da der Schlüssel gewachsen war / der Heilig Geist den Garten besäet hat /gar schön ist er gezieret / mit göttlicher Majestät / Kyrie eleison
  9. Also hat auch der Ruf ein Ende / wohl hie zu dieser Stund / so wolln wir Gott nur bitten / aus unsers Herzen Grund / daß er uns allen wohl genädig sein / er woll uns auch behüten / von der heissen Höllen Pein / Kyrie eleison

Die Melodie folgt - wie meistens - einem populären Volkslied. Woher das Lied stammt, ist unbekannt, Beuttner hat es vorgefunden und in Druck gegeben. Das Lied ist teilweise poetisch etwas ungelenk, aber das innige Bild vom "Täublein", gewissermaßen als jüngstes Kind der Trinität, hat offenbar die Herzen ergriffen.

David Gregor Corner nimmt wenige Jahre später in seinem tausendseitigen Opus magnum "Groß Catholisch Gesangbüch" nur geringe Änderungen vor

  1.  ... , gegrüßet seist du, wunderschöne Magd / dein Seel ist hochgezieret, gesegnet ist dein Leib"

steigt also gewissermaßen direkt in den Dialog zwischen Gottesmutter und Engel ein. Statt besäet hat heißt es allerdings in Vers 8 "bessert" hat. 

Den Gesangbuchredakteuren des 19. Jahrhunderts hat dieses innige und farbenfrohe Barocklied offenbar nicht gefallen. Sie dichten es brutalstmöglich um:

  1. Maria war alleine, versunken im Gebet / "Emmanuel erscheine, dich kündet der Prophet" / O Davids Sohn, wie gern möcht ich dich schaun / und dienen deiner Mutter / der Königin der Frau´n etc. pp.

Die Dözesangesangbücher beschuldigen Heinrich Bone, andere Joseph Mohr. Nun liegt mir ein Druck von Joseph Mohrs "Cantate" von 1899 vor in dem das Lied fehlt, so daß ich eindringlich auf Freispruch plädiere. Das Lied stirbt einen stillen Tod, in das Gotteslob 1975 wird es nicht mehr übernommen.

Nur das katholische Gesangbuch der Schweiz versucht, das Täublein wiederzubeleben:

  1. Es flog ein Täublein weiße vom Himmel herab / in Gabriels Geleite zu einer Jungfrau zart usw.

Der Text soll auf David Corner (1631) zurückgehen, die Melodie ebenso. Beides ein eklatanter Verstoß gegen das 8. Gebot, denn weder der Text noch die Melodie entspricht dem "Groß Catholisch Gesangbüch", der Text ist bis auf die erste Zeile völlig umgestaltet, die Melodie ist - vermutlich wegen der "Singbarkeit" - stark vereinfacht. Der wahre Autor ist vielmehr Huber Sidler, gemeinsam mit Markus Jenny Redakteur des mißratenen Gotteslobes 1975 und Mitglied der AöL, der "Arbeitsgemeinschaft ökumenisches Liedgut". 

Ökumene, Ökumiste.

Überlebt hat das Lied, arrangiert durch u.a. Johannes Brahms, im Konzertsaal. Brahms greift auf den Urtext bei Beuttner zurück, abgesehen von Corners wunderlichem "besseren" Garten. Das Lied ist auf drei Strophen verkürzt, auf die erste, und die beiden letzten. So könnte man sie, gemeinsam mit der von Brahms nur leicht veränderten Melodie, in ein Gesangbuch übernehmen - wenn sich einer noch traut.

Johannes Brahms, "Es flog ein Täublein weiße".


Montag, 25. Juli 2022

Schönster Herr Jesu

 

Jesus Pantokrator (Hagia Sophia)

Manchmal begegnen uns Lieder, die so perfekt sind, daß sie der katholischen Umdichtungs-Macke entgehen (könnten). Ihre Güte und ihren Wert zeigen sie uns dadurch, daß sie über die Jahrhunderte immer wieder in katholischen Gesangbüchern abgedruckt werden, und mit Begeisterung gesungen werden.

An diesem Lied jedenfalls gab es eigentlich kaum noch - außer der Anpassung an die heutige Schreibweise - etwas zu verbessern, oder?

  1. Schönster Herr Jesu, Herrscher aller Herren / Gottes und Marien Sohn / Dich will ich lieben Dich will ich ehren / Meiner Seele Freud und Wonn´
  2. Alle die Schönheit Himmels und der Erden / Ist gefaßt in Dir allein / Keiner soll immer lieber mir werden / Als Du Jesu Liebster mein
  3. Schön ist der Monde / Schöner ist die Sonne / Schön sind auch die Sterne all / Jesus ist feiner, Jesus ist reiner / Als die Engel allzumal. 
  4. Schön ist das Silber / Schöner sind die Perlen / Schöner doch des Goldes Glanz / Dies heut nur scheinet, morgen verschwindet / Jesu glänzt in Ewigkeit
  5. Schön sind die Blumen / schöner sind die Menschen / in der frischen Jugendzeit / Sie müssen sterben, müssen verderben / Jesus bleibt in Ewigkeit
  6. Liebster Herr Jesu, hie bist gegenwärtig / Im Hochheilig Sakrament / Jesu Dich bitt ich, sei du genädig / Jetzt und auch am letzten End.

So jedenfalls die allerälteste Fassung, die in einer Handschrift aus dem Jahr 1660 entdeckt wurde. Bereits der erste Druck im Münsterisch Gesangbuch enthält gravierende Änderungen. Die 4. Strophe entfällt - und wird in der weiteren Entwicklung nicht mehr gesehen - und in der 3. Strophe sollen sich nun die Sonne, Mond unst Sterne schämen, alldieweil Jesus viel reiner und feiner ist. 

 Die folgenden Herausgeber, Neu-Dichter und Kompilatoren können sich zum Glück nicht damit abfinden und kehren zur alten Fassung zurück. Oder auch nicht. 

Wie so manches hochemotionale barocke Kirchen-Lied verschwindet der Schönste Herr während der Aufklärung als Bückware unter der Ladentheke. Ausgerechnet Hoffmann von Fallersleben, bekanntlich - to say the least - keineswegs ein Freund des Katholischen, holt es wieder hervor, streicht - wie sollte es anders sein - den Bezug auf das Hochheilig Sakrament in der letzten Strophe, ergänzt das Lied mit einer Feld-Wald-Wiesen Strophe, tilgt dafür das "Sterben und Verderben" und landet mit den Lied, das auch noch zusätzlich mit einer gefälligeren Melodie in heiterem Dur unterlegt wird, einen echten Kassenerfolg. Mit dem "Herrscher aller Herren" hat es der nationalliberale Herr von Fallersleben übrigens nicht, "Herrscher aller Erden" scheint im commoder.

In der Folge findet das Lied Eingang in fast alle evangelischen Gesangbücher und breitet sich, wiederum mit einem neuen Text versehen, bis in die Niederlande, Dänemark und Schweden aus.

1847 erbarmt sich Heinrich Bone im Bemühen, den postbarocken Aufkläricht wegzuputzen, und rekonstruiert das Lied für die katholischen Gesangbücher. Er unterlegt es wieder mit der expressiven Barockweise, und schafft einen ziemlich neuen Text, der bedauerlicherweise das barocke Drama samt aller seiner expressiven Stilmittel erbarmungslos niederbügelt. Aus der Tautologie "Freud und Won(n)" wird "Freudenthron" (was meint das, hätte mein Soziologieprofessor gefragt), aus "Jesu Liebster mein" "o Jesu mein", Reime werden getilgt (reiner und heller, statt reiner und feiner; hinsterben statt sterben/verderben), der Mond wird zum Mondlicht versachlicht und schließlich wird am Schluß das persönliche Gebet an den leiblich gegenwärtigen Jesus "hie bist gegenwärtig im hochheilgen Sakrament" abstrahiert. Statt des innigen Gebets steht die abstrakte theologische Aussage "und gegenwärtig ist er wahrhaftig im hochwürd´gen Sakrament".

Viel besser wird es dann in den "Einheitslieder", zu denen dieses einst innige Gebet hinzugefügt wird, auch nicht. "Du bist gegenwärtig" statt hie! jetzt! Und "Freud und Kron" (wiederum: was meint das, um Himmelswillen!) statt Freud und Wonn´ und aus Jesu Liebster mein, liebster Jesu mein.

Etikettenschwindel ist ja vor allem in katholischen Gesangbüchern eine ganz gewiß lässliche Sünde. So heißt es denn frech im Gotteslob 2013 Text und Melodie seien in "Münster in Westfalen" entstanden. Für die Melodie richtig, für den Text ... . Vielmehr wird die letzte Strophe gleichsam mit der Abrißbirne traktiert. "Schönster Herr Jesus, bei uns gegenwärtig durch dein Wort und Sakrament". Damit verschwindet nun die innige Szene des Beters vor dem Tabernakel, notabene vor der Monstranz völlig in den Schwaden einer neokatholischen Nebelgranate. Die Gleichsetzung Tisch des Wortes/ Tisch des Herrn ist im übrigen eine der Planierungsmaßnahmen, der wir das fast völlige Verschwinden urkatholischer Substanz zu verdanken haben.

Der Täter hat ein Bekennerschreiben hinterlassen. Das kleine Merkzeichen "ö" weist daraufhin, daß der Text durch den unsäglichen "Arbeitskreis ökumenisches Liedgut (AöL)" durchgenudelt wurde. Womöglich haben die kathogelischen Mitglieder des Arbeitskreises erwartet, daß das zeitgeistig zugerichtete Lied nun auch in die evangolischen Gesangbücher Eingang findet. Dort ist aber der nur leicht abgewandelte Fallersleben-Text abgedruckt.

Hier eine besonders schöne Choralversion.